Bdelloida – hier die Spezies Rotaria macrura – sind die Ents der Rädertierchenwelt, nur mit umgekehrtem Geschlechtsvorzeichen: Hier werden die Männchen vermisst.
Foto: Michael Plewka

London – Rädertierchen (Rotifera) sind einfach überall: In den Meeren, in Binnengewässern, aber auch im Boden, in Bäumen oder Moospolstern, solange es dort nur feucht genug ist. Der Großteil der tausenden Arten ist kleiner als ein Millimeter. Und im Gegensatz zu anderen "Tierchen" wie Augentierchen oder Wimpertierchen handelt es sich bei diesen Winzlingen tatsächlich um vielzellige Tiere.

Tiere setzen zumeist auf sexuelle Fortpflanzung: Die Vermischung von Genen erhöht die Chancen, sich an neue Umstände – insbesondere das Aufkommen von Krankheiten – anzupassen, und damit die Überlebensfähigkeit. Das gilt auch für Rädertierchen, doch sticht hier eine Gruppe heraus: Die Bdelloida, von denen es etwa 300 verschiedene Arten gibt, können sich nicht sexuell fortpflanzen, weil es von ihnen nur Weibchen gibt. Trotzdem steht die Evolution bei ihnen nicht still, wie die Unterteilung in so viele verschiedene Arten zeigt. Sie sind zur Veränderung fähig, obwohl sie seit Millionen Jahren "im Zölibat leben", wie Forscher des Imperial College in London es ausdrücken.

Selbstreparatur als Schlüssel?

Lange Zeit wurde gerätselt, wie die Tiere das schaffen. Die Lösung glaubte man schließlich in einer speziellen Fähigkeit vieler Bdelloida gefunden zu haben. Diese Rädertierchen leben häufig in Böden – und selbst der feuchteste Boden kann einmal austrocknen. Dann schrumpfen die Tiere ein und verfallen in eine Trockenstarre, in der sie einige Jahre überdauern können.

Wird die Umgebung wieder feuchter, kehren die Tiere in ihre alte Gestalt zurück, zugleich starten sie einen umfangreichen Reparaturprozess an ihrer DNA, die bei der Austrocknung Schaden genommen hat. Während dieses Prozesses, so die Vermutung, könnten nicht nur Schäden beseitigt, sondern womöglich auch Gene neu kombiniert werden, was letztlich zu einer evolutionären Weiterentwicklung führen würde.

Dieser Hypothese erteilen die Londoner Forscher im Fachmagazin "PLOS Biology" nun aber eine Absage. Sie untersuchten die Genome verschiedener Bdelloida – darunter auch solche, die nicht die Fähigkeit zur Trockenstarre haben. Vorhandensein oder Fehlen der Fähigkeit müsste sich in den Genomen widerspiegeln, doch konnten die Forscher um Reuben Nowell die erwarteten Unterschiede nicht finden. Ihre Schlussfolgerung: Die DNA-Reparatur nach der Trockenstarre ist nicht des Rätsels Lösung, wie die Tiere ohne sexuelle Vermehrung auskommen.

Alternative Möglichkeiten

Nun richten die Forscher ihren Fokus eher auf den horizontalen Gentransfer, also die Aufnahme von Genen anderer Spezies ins eigene Erbgut. Dieses Phänomen tritt bei Bdelloida in einem recht hohen Ausmaß auf, und die Tiere sind offenbar auch nicht wählerisch: Laut Nowells Team wurden bei Bdelloida schon tausende Gene gefunden, die ursprünglich von Pilzen, Pflanzen, Bakterien oder anderen Einzellern stammen. Unklar ist, wann und wie die Tierchen diese Gene einbauen – hier sollen weitere Studien folgen.

Und letztlich wollen die Londoner Forscher auch die Möglichkeit sexueller Fortpflanzung nicht ganz ausschließen. Eine frühere Studie hatte aus der Anordnung der Gene auf den Chromosomen geschlossen, dass sich die Bdelloida gar nicht sexuell fortpflanzen können. Die aktuelle Studie konnte das bei ihren untersuchten Spezies nicht bestätigen. Es wäre zumindest theoretisch möglich. Doch bleibt damit die alte Frage: Wo sind die Männchen? (jdo, 7. 5. 2018)