Samstagabend musste man an Musik denken. Der Grund dafür war tatsächlich der Eurovision Song Contest. Bei dem denkt man an viel, aber nicht unbedingt an Aaron Neville. Der ist ein berühmter Soul-Sänger aus New Orleans, die Stimme der Neville Brothers, Hausheilige unten im Mississippi-Delta.
Dessen vielleicht berühmtester Song heißt Tell It Like It Is. Es ist ein Lied über die Beziehung zwischen Männern und Frauen. Darin singt er "If you want something to play with / go and find yourself a toy".
Sieg mit 529 Punkten
Neville singt das Lied aus Sicht eines Buben, doch Mädels wie Nina Simone, Etta James und andere Kaliber haben sich den Song angeeignet und ihn aus weiblicher Sicht interpretiert, das ist bis heute stimmiger.
In dieser Erbfolge sang am Samstag Netta "I’m not your toy / you stupid boy". Die Israelin gewann mit dem Song Toy in Portugal den 63. Eurovision Song Contest mit 529 Punkten.
Dritter Platz für César Sampson
Zyperns Eleni Foureira holte mit dem Lied Fuego 436 Punkte und den zweiten Platz, der Österreicher Cesár Sampson fuhr 342 Punkte ein und landete auf dem dritten Platz vor Deutschland, Gastgeber Portugal markierte das Schlusslicht, das gilt es zu erwähnen, wenn Österreich einmal wo anders zu liegen kommt.
Björks "Homogenic" lässt grüßen
Toy von Netta ist ein stimmiger Sieg. Während ihr Äußeres, ihr Style, wie von Björks Albumcover Homogenic übernommen wirkt, ist ihr Song ist ein Plädoyer für die Individualität abseits gesellschaftlicher Schablonen.
Er streift die Metoo-Diskussion und widerspiegelt die europäische Vision von Toleranz, Diversität und Selbstbestimmung von Frauen über 50 Kilogramm. Gleichzeitig lässt sich der Sieg als Anerkennung an Israel lesen, das eben sein 70-jähriges Bestehen feierte, an ein Israel abseits der politischen Schlagzeilen.
Von der Politik einverleibt
Wobei die Politik sich den Sieg beim Song Contest sofort einverleibte: Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman nutzte den Sieg für eine verbale Breitseite gegen Syrien und den Iran. Der syrische Machthaber Bashar al-Assad solle "lernen, was heute passiert" und dem iranischen Ayatollah Ali Khamenei sagen, dass er "nicht sein Spielzeug" sei, twitterte Lieberman. Der Iran habe "nichts in Syrien zu suchen".
Ungeachtet dessen will Netta Barzilai ihren Triumph nun dazu nutzen, junge Menschen zu mehr Selbstbewusstsein zu motivieren. "Wenn die junge Netta mich zur Primetime hätte sehen können, wäre die junge Netta weniger unglücklich gewesen", sagte die 25-Jährige in der Nacht zum Sonntag in Lissabon in ihrer Siegerpressekonferenz. "Ich musste nie eine Botschaft transportieren, ich musste einfach ich sein", sagte sie.
Wallende Haare
Die in Albanien geborene Eleni Foureira ist Griechin und wurde für Zypern zweite. Fuego heißt das Lied, dessen Rhythmus vor allem das üppig mitgebrachte Haupthaar der Synchrontanz- und Chordamen in Wallung brachte.
Da konnte Cesár Sampsons Haarschnitt zwar nicht mithalten. Sein Song Nobody But You punktete jedoch mit konsensfähigem Soul-Pop, dem ein Chor so etwas wie Spiritualität einhauchte, was Cesár zu einem soliden Auftritt verhalf. Das wurde auf Publikumsseite offenbar genauso empfunden – Gratulation.
200 Millionen Zuseher
An die 200 Millionen Zuseher verfolgten das Spektakel weltweit vor den Empfangsgeräten. Beim Auftritt der Britin SuRie stürmte ein Mann die Bühne, entriss ihr das Mikro und brüllte "For the nazis of the UK media, we demand freedom!" in den Saal. SuRie reagierte souverän, doch die Popgroßmacht England landete am Ende nur auf Platz 24.
Dem Reglement entsprechend, wird der 64. Eurovision Song Contest nächstes Jahr von Israel ausgerichtet. (Karl Fluch, 13.5.2018)