An den internationalen Finanzmärkten braut sich gerade was zusammen. Investoren ziehen zusehends Gelder aus den Schwellenländern ab. Das kommt nicht ganz überraschend: Seit die westlichen Notenbanken bei Ausbruch der Finanzkrise ihre Zinsen auf null gesenkt und die Märkte mit Billionen an Liquidität geflutet haben, gibt es in den Industriestaaten so gut wie keine Rendite auf festverzinsliche Investments. Anleger schauten sich zusehends in anderen Regionen nach Profiten um.
Mit der Verbesserung der Konjunktur wurde das Geld immer "heißer". Je gewagter das Investment, desto größer der Anreiz, schien die Devise zu lauten. Schwellenländer mit ihren vergleichsweise hohen Zinsen wurden zum Magneten für Veranlagungen. Das hat sich mittlerweile gedreht. Schon im Februar wurden Kapitalabflüsse gemeldet. Die haben sich in den vergangenen drei Wochen massiv beschleunigt. Seit Mitte April wurden allen vier Milliarden Dollar aus Anleihenfonds der Schwellenländer abgezogen. Dazu kommen Abflüsse aus Aktien und anderen Investmentgattungen. Den großen Anlegern wie Pensions- und Hedgefonds wird es langsam zu heiß.
Peso und Lira tauchen ab
Am stärksten vom neuen Misstrauen wurden Argentinien und die Türkei getroffen, deren Währungen stark abwerteten. Das südamerikanische Land will nun sogar Hilfen vom Internationalen Währungsfonds. Dass Argentinien, das 2001 eine spektakuläre Pleite hinlegte, neuerlich wackeln könnte, sorgt an den Märkten für Alarmstimmung. Doch die Kapitalabzüge waren bei weitem keine Einzelfälle, fast alle Schwellenländer bekamen den Gegenwind zu spüren.
Laut dem Emerging-Markets-Experten David Hauner waren sie so schlimm wie seit Herbst 2016 nicht, als die Wahl von Donald Trump die Geldströme umgeleitet hatte. "Wir hatten Phasen, in denen es keine Käufer gab. Das grenzte an Panik", meint Hauner, der bei der Bank of America Merrill Lynch tätig ist. Viele denken bereits an die Schockwellen im Jahr 2013 zurück, als US-Notenbankchef Ben Bernanke mit Ankündigungen über eine Reduktion der Wertpapierkäufe einen Exodus aus den Schwellenländern auslöste. Die Episode ist als Taper Tantrum, in Anspielung an Temper Tantrum bekannt geworden, das so viel wie Ausraster bedeutet.
Hintergrund der aktuellen Turbulenzen ist neuerlich die angestiegene Rendite auf Anleihen in den USA. Seit man mit zehnjährigen Staatsanleihen wieder knapp drei Prozent verdient, erscheint vielen Anlegern eine Rückholdung der Mittel schlauer. Dazu kommt der Anstieg des Dollars zum Euro in den vergangenen Wochen, der die Tendenz verstärkt.
Erinnerungen werden wach
Nun fragen sich viele, wie groß die Gefahr der aktuellen massiven Umschichtung ist. Erinnerungen an die Lateinamerikakrise in den 1980er-Jahren oder die Asien-Turbulenzen Ende der 1990er-Jahre werden wach. Auch Osteuropa hat schwer unter den Kapitalabflüssen gelitten, die mit der letzten Finanzkrise einhergingen. Banken geraten in Schwierigkeiten, Kredite werden fällig gestellt, Unternehmen investieren nicht mehr und entlassen Personal.
Doch wie verwundbar sind die Länder heute? Mehrere Experten äußern sich tendenziell optimistisch, auch wenn Argentinien und die Türkei äußerst kritisch betrachtet werden. "Die Situation ist insgesamt stabiler", mein Kurt Bayer, der sich am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche mit Krisenprävention beschäftigt. Die Banken haben stärkere Kapitalpuffer, viele Staaten höhere Devisenreserven. Doch Abhängigkeit von Rohstoffexporten und Leistungsbilanzdefizite gelten als Achillesfersen. (Andreas Schnauder, 14.5.2018)