Schriftstellerin Stefanie Sargnagel und ihr Kompagnon Aron Rosenfeld sind nicht zum ersten Mal gemeinsam unterwegs.

Foto: Stefanie Sargnagel

Sargnagel und Rosenfeld sind mit dem Zug nach Stráznice gereist, um ihren Trip zu beginnen.

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Ortstypische Gebäudezierde in Stráznice in Mähren.

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Sargnagel probiert wunderlich aufgepeppte Besen aus.

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Der Friedhof, auf dem Rosenfelds Urgroßvater in Stráznice begraben liegt, wo er einst Vorbeter und Religionslehrer war.

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Gemälde von Leonard Cohen in der Synagoge des Städtchens.

Foto: Stefanie Sargnagel

STEFANIE SARGNAGEL: Aron und ich sind seit 16 Jahren befreundet und erfahren im Autostoppen. Gemeinsam haben wir so Marokko, die Ukraine, Großbritannien, den Balkan und Albanien erkundet. Autostoppen eröffnet einem einen ganz anderen Zugang zu Orten, in die man auf der Reise durch die Volksschullehrerinnen oder den Spediteur am Steuer eingeführt wird.

Wir nehmen wenig Kleidung, einen Schlafsack und ein Zelt mit, diese Kargheit des Unterwegsseins finden wir geil. Stets trifft man dabei wohlwollende Leute, die anderen fahren eh weiter. Nach vielen Jahren Pause begeben wir uns also wieder auf Tour. Zum ersten Mal wollen wir unsere eigene Heimat, Naziland, bereisen.

Einiges hat sich seit dem letzten Mal verändert, zum Beispiel bin ich mittlerweile ein reicher Popstar, der eigentlich nicht mehr darauf angewiesen ist, in stinkerten Zelten mit einem Hippierucksack durch Europa zu sandeln. Ich kann mir Hotels leisten, wann ich will, Suiten, Fitnessraum, Sauna, Champagner in der Minibar, all inclusive, bamm. Sollten wir in unserem Alter nicht eh eher über Luxusresorts auf Bali schreiben? Vielleicht. Einzig: In Komfort und Luxus findet man zwar Entspannung und das Gefühl, etwas Besseres zu sein, aber gute Geschichten hat man keine zu erzählen.

Wir möchten also Österreich bereisen, ausgerüstet mit Literatur über dieses chauvinistische, chronisch untersetzte, vogelnasige Bauernvolk. Werden unsere Landsmänner und -frauen wohl ähnlich herzlich sein wie damals die Albaner? Werden sie uns vom Zelten abhalten und uns stattdessen die Gästebetten beziehen wie die freundlichen Moldawier? Oder wird mich einfach einer der Typen aus dem STANDARD-Forum auf der A23 absichtlich überfahren?

Ich freue mich auf das Outdoorfeeling, die frische Luft. Vom vielen Arbeiten in den letzten Wochen bin ich schon ganz fahl und bleich, aber vielleicht ist es kein Nachteil für das Mitgenommenwerden in Österreich, noch weißer als sonst zu sein. Wir beginnen die Reise mit einer Zugfahrt nach Mähren und möchten den Forschungstrip von der tschechischen Grenze aus starten.

Im polnischen Zug nach Uherské Hradiste essen wir Sauersuppe. Aron möchte in Stráznice die Synagoge und das Grab seines Urgroßvaters besichtigen. Beim Ankommen sitzen viele alte Tschechen bei Bier und Schnaps im Bahnhofsbeisl, ein lustiges Volk. An den Wänden hängen Fotos von der Überschwemmung 1997. Aron sagt: "Ist Tschechisch nicht wunderschön? Das Slawische klingt, als würde einem jemand Marmelade aufs Brot streichen, oder?" – "Nein, finde ich nicht", antworte ich. Den Rest des Tages marschieren wir hinter Arons jüdischer Ahnengeschichte her.

Auf dem Weg treffen wir einen alten Mann, der beginnt, Besen aus seinem Haus zu räumen, um sie uns zu zeigen. Ein Besenverkäufer? Nein! Auf die Besen hat er Sitze, Scheinwerfer, Propeller und Rückspiegel montiert, die er uns Tschechisch schnatternd und lachend präsentiert. Wir verstehen, dass wir uns draufsetzen sollen. Dann lacht er laut. Wir verabschieden uns und gehen weiter zum jüdischen Friedhof. Die Synagoge ist innen mit amateurhaften Gemälden von Anne Frank und Leonard Cohen geschmückt.

Morgen beginnen wir zu stoppen. Wir wollten immer schon mal nach St. Pölten. (Stefanie Sargnagel, 18.5.2018)

ARON ROSENFELD: Als noch der Doppeladler seine Kreise über Mitteleuropa zog, fiel der Schatten seiner Flügel auf ein Städtchen im südlichen Mähren an der Grenze zur Slowakei. Hier arbeitete mein Urgroßvater, einst über Ungarn aus der Ukraine zugewandert, als Vorbeter und Religionslehrer in der örtlichen Synagoge.

Die jüdische Gemeinde von Stráznice war klein, aber gehörte zu den ältesten der gesamten Region. In der Vergangenheit wirkten hier bedeutende Rabbiner, allen voran der Chatam Sofer, einsamer Wortführer der für ihren kompromisslosen Traditionalismus berüchtigten ungarischen Orthodoxie, aber auch der ungleich liberalere Adolf Jellinek, der später am Leopoldstädter Tempel zum sprachgewaltigsten Prediger des 19. Jahrhunderts aufsteigen sollte, wurde unweit von hier geboren. Ich möchte seit längerer Zeit wieder einmal den Ort besuchen und überrede Steffi zu einem kleinen Umweg auf unserer Reise durch das österreichische Hinterland.

Herr Maschek, die hiesige Ansprechperson für Besucher der Synagoge, empfängt uns im alten jüdischen Viertel und führt uns zunächst durch den Friedhof. Die Inschriften der älteren Grabsteine sind ausschließlich in einem witterungsbedingt kaum mehr lesbaren Hebräisch gehalten, wogegen die neueren von Familien mit klangvollen Namen wie Sternlicht oder Siebenschein zusätzlich deutschsprachige Trauerverse schmücken – wie ein für alle Ewigkeit in Stein gemeißeltes Zeugnis jener leidenschaftlichen Hingabe, mit der sich Juden und Jüdinnen überall in Mitteleuropa der deutschen Kultur zuwandten.

Wir finden das entsprechend seines Amtes als Oberkantor aufwendig gestaltete Grab meines Urgroßvaters, über den ich kaum etwas weiß, außer dass er 1927 in seinem 54. Lebensjahr gestorben ist – viel zu früh und doch zur rechten Zeit. Beim vorerst und wohl endgültig letzten Begräbnis dieses Friedhofs wurde einige Jahre nach Kriegsende einer von dreizehn Überlebenden der einst 157 Personen umfassenden jüdischen Gemeinde von Stráznice beerdigt. (Aron Rosenfeld, 18.5.2018)