Wien – Der Nachlass von Frederic Morton und der Vorlass von Ruth Klüger befinden sich seit kurzem in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB). Diese wichtigen Neuzugänge "von besonderen Autoren" präsentierten ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger und Literaturarchiv-Leiter Bernhard Fetz am Mittwoch. Bis Ende des Jahres soll das Material katalogisiert sein.

Morton (1924-2015) und Klüger (geb. am 30. Oktober 1931) seien beide in Wien geboren und repräsentierten "eine Generation, die von Anfang an in Amerika weitermachen wollte", die also alle Anstrengungen unternahmen, sich sprachlich, beruflich und gesellschaftlich in den USA zu integrieren und zu etablieren, sagte Fetz. Dies belege auch das nun erworbene Material, das insgesamt 20 Transportkisten umfasst.

Rund 70 Vor- und Nachlässe von Exil-Autorinnen und -Autoren (darunter Erich Fried, Hilde Spiel, Günther Anders oder Berta Zuckerkandl) betreut das Literaturarchiv bereits. Umso schöner sei es, dass gerade im Gedenkjahr 2018 diese beiden wichtigen Bestände ans Haus gekommen seien, sagte Rachinger: "Sie dokumentieren zwei sehr unterschiedliche Emigrationsgeschichten, zwei sehr bemerkenswerte internationale Karrieren."

Klügers lange gereifter Entschluss

Die Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin Ruth Klüger, die 1942 im Alter von elf Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert wurde, Auschwitz-Birkenau und Christianstadt, ein Außenlager des KZ Groß-Rosen, überlebt hat und seit 1947 in den USA lebt, bekundete im Juli des Vorjahres ihren lange gereiften Entschluss, ihren Vorlass nach Wien zu geben – bemerkenswert angesichts der kritischen Haltung, die sie stets gegenüber ihrer Geburtsstadt eingenommen hat. Zur Sichtung und Verpackung des Materials in elf Kisten reiste Fetz daraufhin im November zu Klüger in die kalifornische Universitätsstadt Irvine. Auch das derzeit in Göttingen aufbewahrte Material wird nach Wien kommen.

Man einigte sich auf eine Kaufsumme von 25.000 Euro. Als materiell wertvollsten Teil des Vorlasses nannte Fetz den über viele Jahre laufenden Briefwechsel mit Martin Walser, den Ruth Klüger nach Erscheinen von Walsers gegen Marcel Reich-Ranicki gerichteten und von Klüger als antisemitisch eingeschätzten Roman "Tod eines Kritikers" abbrach. Dieser Briefwechsel ist wie zahlreiche weitere Manuskripte und (teils unvollendete) Theaterstücke von Klüger wie Morton noch unveröffentlicht.

Neben Dokumenten und Fotos zur Familiengeschichte enthält der Vorlass auch die umfangreiche "Fanpost" (wie es Klüger selbst nennt) nach dem Erscheinen ihres autobiografischen Buches "weiter leben. Eine Jugend", dessen Typoskript ebenso Teil des Materials ist wie der komplette Datenbestand ihres Computers mitsamt dem umfangreichen E-Mail-Verkehr der Autorin.

Vielfältige Materialien Mortons

Der Nachlass Frederic Mortons, der mit seiner Familie 1939 nach England und 1940 schließlich nach New York emigrierte, ist eine auf Vermittlung des Diplomaten Wolfgang Petritsch zustande gekommene Schenkung seiner in New York lebenden Tochter Rebecca Morton. Viele Original-Skripte, Tagebücher und umfangreiche Recherchematerialien zu verschiedenen Werken, insbesondere zu den beiden Romanen "Die Rothschilds" und "Ewigkeitsgasse" sind darin ebenso enthalten wie Essays, Kurzgeschichten und Artikel, die Morton für prominente US-Magazine wie den "New Yorker", "Vanity Fair", "Harper's Bazaar" oder den "Playboy" verfasste.

Die Korrespondenz umfasst den Briefaustausch mit Kollegen wie Aldous Huxley, John Irving, Norman Mailer, Philip Roth, Upton Sinclair, Heimito von Doderer und Thomas Mann gleichermaßen wie mit Prominenz von Marlon Brando und Vanessa Redgrave bis Jacqueline Kennedy Onassis und Robert Kennedy.

Ausstellung und Forschung

Das Material wird nicht nur für weitere wissenschaftliche Untersuchungen aufbereitet, sondern wird teilweise Eingang in die Dauerausstellung des Literaturmuseums finden und sicher auch Gegenstand für Ausstellungen sein, hieß es heute.

Während sich in Deutschland etwa die Berliner Akademie der Künste und das Literaturarchiv Marbach beide intensiv um den Vorlass des 81-jährigen Wolf Biermann bemühten, sei ihm aus den vergangenen Jahren kein Fall bekannt, bei dem sich heimische Institutionen bei literarischen Vor- oder Nachlässen konkurrenziert hätten, sagte Fetz auf Nachfrage. Die ÖNB verfüge auch über kein fixes Budget für solche Fälle, doch über "eine gewisse Reserve" für wichtige Ankäufe, so Rachinger. (APA, 23.5.2018)