Keine Alleinerzieherin bekomme weniger, betonte die Regierung am Feiertag. Die Länder sollen weiterhin Wohnbeihilfen zur Mindestsicherung zahlen dürfen.

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Innsbruck/Bregenz – Im Westen brodelt es nach dem Bundesvorschlag zur Verschärfung der Mindestsicherung. Die schwarz-grün regierten Länder Salzburg, Tirol und Vorarlberg können mit dem von der ÖVP-FPÖ-Regierung ersonnenen Modell wenig anfangen. "In Vorarlberg ist das nicht genug zum Leben, das ist unmöglich", sagt VP-Klubchef Roland Frühstück zum STANDARD. Er fordert vor allem bei den Wohnkosten mehr Spielraum für die Länder: "Ziel der Mindestsicherung wäre, zumindest in der Nähe der Armutsgefährdungsschwelle zu sein." Mit dem jetzigen Vorschlag liege man deutlich darunter.

Frühstück geht also davon aus, dass man mit dem Bund "nachverhandeln" werde. Die sogenannte Westachse der Volkspartei sei hier einer Meinung, und die drei Landesparteien befänden sich dazu bereits im "engen Austausch". Für Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bedeutet das Ungemach, denn die mächtigen Landeshauptleute Wilfried Haslauer, Günther Platter und Markus Wallner werden sich nicht ohne weiteres unterordnen, wie aus ÖVP-Kreisen zu erfahren ist.

Beschäftigung erlauben

Neben dem fehlenden Spielraum bei Wohnkosten kritisiert Frühstück, dass die Forderung des Bundes nach Deutschkenntnissen auf B1-Niveau zum Erhalt der vollen Mindestsicherung "zu hoch gegriffen" sei. Um den Betroffenen während der Spracherwerbsphase ein Durchkommen zu sichern, schlägt die Vorarlberger VP vor, geringfügige Beschäftigungen zu erlauben. So könnten die Bezieher die bis zum Nachweis der Deutschkenntnisse fehlenden 300 Euro selbst dazuverdienen. Denn mit nur 563 Euro könne im Westen niemand seinen Lebensunterhalt bestreiten, sind sich ÖVP und Grüne in den Ländern einig.

Noch halten sich die Landeschefs selbst mit Kritik am Bund zurück. Platter und Wallner schicken ihre Klubobleute vor. So kündigte auch der Tiroler VP-Klubchef Jakob Wolf bereits Nachverhandlungen mit dem Bund an.

Sprengstoff für schwarz-grüne Länderkoalitionen

Ihre grünen Koalitionspartner üben sich – wohl ob der Koalitionsräson – ebenfalls noch in Zurückhaltung. Man wolle dem politischen Partner "bis kommende Woche Zeit geben", der Bundes-ÖVP die Stirn zu bieten, heißt es. Denn eines ist klar: Würde die Bundesregierung auf ihrem Vorschlag beharren, wäre das Sprengstoff für die schwarz-grünen Partnerschaften im Westen. In Tirol wurde erst im März auf Druck der Grünen in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass es zu keinen Verschärfungen bei der Mindestsicherung kommen dürfe.

Die grüne Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker erklärt es diplomatisch: "Der Bundesvorschlag, wie man ihn derzeit kennt, ist nur schwer kompatibel mit dem Vorarlberger Modell." Dieses Modell wurde erst im Vorjahr in enger Abstimmung mit Tirol und Salzburg erarbeitet, als die Länder mangels bundesweiter Einigung eigene Mindestsicherungsregelungen beschlossen hatten. Wiesflecker sieht im Bundesvorschlag eine "Verkehrung der Grundsatzgesetzgebung", weil damit den Ländern der Spielraum genommen werde, Mindeststandards selbst zu definieren.

Den bräuchte man im Westen vor allem in Sachen Wohnkosten, die hier deutlich höher sind als im Osten Österreichs. Doch das Modell der Regierung sehe keinerlei Spielraum vor. Nur innerhalb der maximal 863 Euro dürften die Länder entscheiden, wie viel davon für Wohnen verwendet wird.

Drohende Wohnungslosigkeit

Harsche Kritik kommt vor allem von den Sozialvereinen, etwa dem Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende (Dowas) in Innsbruck. "Die Mindestsicherung als Mittel zur Armutsverhinderung wird damit zerstört", kritisiert Obmann Helmut Kunwald die "sehr kurzsichtige Maßnahme". Die Regierung fördere damit sogar Armut, weil die angedachte Deckelung im Westen nicht ausreiche, um zu überleben.

"Es gibt keine budgetäre Notwendigkeit für diese Verschärfungen. Das ist Populismus, der gewisse Teile der Bevölkerung bewusst in Armut und Wohnungslosigkeit zwingt. Damit wird ein soziales Gefüge aus dem Gleichgewicht gebracht, das wir in Österreich zum Glück noch haben", kritisiert Kunwald. Er verweist darauf, dass allein 75 Prozent der Mindestsicherungsbezieher in Tirol "Aufstocker" sind, also trotz Arbeit nicht genug zum Leben haben: "Sie wird die Verschärfung besonders hart treffen."

Auch der Landessprecher der Tiroler Grünen, Hubert Weiler-Auer, warnt vor einem "inakzeptablen Kahlschlag". Der Regierungsvorschlag treffe nämlich keineswegs nur Ausländer, wie von dieser gerne behauptet werde, sondern vor allem Kinder. In Tirol bedeute das Bundesmodell, das die hohen Wohnkosten nicht berücksichtigt, etwa für eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern monatlich 293 Euro weniger. Eine Familie mit einem Kind, die im teuersten Wohnbezirk Kitzbühel lebt, müsse überhaupt mit 476 Euro weniger im Monat auskommen, rechnen die Grünen vor.

Laut Armutskonferenz drohten durch die neue, bundesweite Mindestsicherung entgegen der Darstellung von ÖVP und FPÖ auch vielen Alleinerzieherinnen Verluste, eben im Westen, aber auch in Wien, wenn die derzeit gewährten Mietzuschüsse wegfallen.

Diese Lesart wies Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal am Feiertag umgehend zurück: "Alleinerzieherinnen in allen Bundesländern sind die Gewinnerinnen dieses Modells."

Regierung erlaubt Wohngeld

Die Mietzuschüsse seien nicht von der Mindestsicherungsregelung betroffen, den Ländern stehe es weiterhin frei, diese zu gewähren und Wohnbeihilfen zu zahlen. Dieser Spielraum war im Ministerratsvortrag noch nicht vorgesehen. Die bei der Regierungsklausur genannten 1383 Euro als Obergrenze seien der Betrag alleine für die Mindestsicherung für eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern.

Wie ein Rundruf der APA in den Landesregierungen ergab, können Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern in Tirol derzeit inklusive Mietzuschüssen nämlich mit bis zu 1841 Euro Unterstützung rechnen – je nach Wohnort und tatsächlich zu zahlender Miete. In Vorarlberg sind es bis zu 1702 Euro, in Salzburg bis zu 1647 Euro und in Wien 1452 Euro (Steffen Arora, 1.6.2018)