Mit dem dritten Jahrgang der Zentralmatura ist auch das Aufgabensystem der Mathematikmatura in seiner dritten Generation – stets gefolgt von zwei Nebenterminen, bei denen negativ benotete Schüler weitere Chancen erhalten. Die Aufgaben sowie deren Lösungen sind zwei Jahre lang auf der Website des Bildungsministeriums abrufbar. Allein beim ersten Teil ergeben sich durch vergangene Klausuren 144 Übungsbeispiele, die jedem frei zugänglich sind. Zusammen mit den bereitgestellten Übungsmaterialien findet ein ehrgeiziger Schüler mehrere Hundert Beispiele vor, die exakt dem Konzept der Zentralmatura entsprechen. Hier noch von fehlenden Vorbereitungsbeispielen zu sprechen, wie es in den letzten Tagen der Fall war, entspricht nicht ganz der Wahrheit.

In den Medien werden diverse Beispiele der heurigen Klausur, bei denen einfachstes mathematisches Grundwissen abgefragt wurde, als komplexe, schier unlösbare Werke des Teufels dargestellt. Die vielzitierte Ziehung dreier Gummibären aus einer Packung entspricht der simpelsten Art der Wahrscheinlichkeitsrechnung und sollte innerhalb einer Minute gelöst werden können. Auch sollte jedem AHS-Schüler klar sein, dass eine willkürliche Zahl, die mit 0,85 multipliziert wird, um 15 und nicht 85 Prozent verringert wird. Genau diese für Sie hoffentlich nachvollziehbare Schlussfolgerung stellte der Erwartungshorizont des Bakterienwachstums in Beispiel elf dar.

In meiner Klasse bewegte sich – bis auf ein Genügend – jeder Schüler in der oberen Hälfte der Notenskala. Die Frage, ob für eine so einfache Klausur zwölf Jahre Schule notwendig waren, wurde häufiger gestellt als "Welche Wahrscheinlichkeit habt ihr bei den Gummibären?". Habe ich selbst immer einen Seiltanz zwischen Nicht genügend und dem positiven Jahresabschluss vollführt, stieg ich aus der diesjährigen Matura mit einem Gut aus – und das ohne Vorbereitung.

Wenn ein Lehrer jetzt über schlechte Ergebnisse seiner besten Schüler klagt, hat er sie dann ausreichend vorbereitet? Oder hat er die Beurteilungen in den letzten Jahren einfach nur verschenkt, um einen guten Notenschnitt zu erhalten? Wo liegen also die strukturellen Probleme, von denen in der vergangenen Woche gesprochen wurde? Bei den Schulen oder einer vom Niveau her überraschend einfachen Mathematikmatura?

Wenn also nach einer Klausur auf solch einem niedrigen Level nach Schuldigen für die zahlreichen Kompensationsprüfungen gesucht werden muss, sollten die Schulen und ihre Lehrer vielleicht lieber bei sich und ihren Methoden anfangen. Ob es zielführender ist, gute Jahreszeugnisse zu erwirken oder die Schüler auf eine zufriedenstellende Reifeprüfung vorzubereiten, sei dahingestellt. (Luis Neuhold, 4.6.2018)