Lehár, Vorname Franz, österreichischer Operettenkomponist. Zeitverzögert fiel mir noch Die lustige Witwe ein, sein erfolgreichstes Bühnenwerk, das laut einem Lexikoneintrag bis zu seinem Tod 300.000-mal aufgeführt und mehrfach verfilmt wurde. Mein Wissen in diesem Segment ist dürftig. Ich gestehe, es haperte am Interesse. Dann stolperte ich über seine Person. Die Villen von Bad Ischl: Wenn Häuser Geschichten erzählen hieß Marie-Theres Arnboms Buch, das Ende April 2017 im Amalthea-Verlag erschienen ist. Die erste Auflage von 3000 Stück war innert eines Monats vergriffen, mittlerweile gibt es eine dritte als Beleg für das anhaltende Publikumsinteresse an historischer Kost.
Vierzig Domizile hatte die Autorin dafür unter die Lupe genommen, deren Geschichten und die Lebenswege einstiger Besitzer und Bewohner rekonstruiert. Eines der Kapitel war Lehárs Villa am gleichnamigen Kai gewidmet, wo, dem letzten Willen des Komponisten folgend, die Zeit vor sieben Jahrzehnten quasi stehenblieb. Aus der Villa sei nach seinem Tode ein Museum zu bilden: "Sie hat ausschließlich dem Zweck eines Franz-Lehár-Museums zu dienen und ist in gutem Zustande zu erhalten." Ein selbstgefälliger Geck, denke ich mir und blättere weiter. Sein erster Besuch in Bad Ischl datiert vom August 1902, als er noch Kapellmeister war. 46 weitere Sommeraufenthalte werden es bis an sein Lebensende sein. Ischl, der Inbegriff der Sommerfrische und tradierter Kaiserseligkeit, wo sich die Unterhaltungsbranche traf, all die "Librettisten, Starsänger, Soubretten, Verleger und Theaterdirektoren", die ihm "die Ruhe rauben", aber "auch Ideen, Bücher und Verträge" bescheren, wie Arnbom schildert.
Hier traf er auch seine Sophie, verehelichte Meth, die dort mit ihren Eltern weilte. 1904 ließ sie sich scheiden und verbrachte die nächsten 20 Jahre in "wilder Ehe" an Lehárs Seite. Geheiratet wurde erst 1924. Zur Wahrung des Scheins wohnten sie deshalb einige Jahre nie "an derselben Adresse", jedoch "in benachbarten Häusern". Das änderte sich im August 1912, als der mittlerweile erfolgreiche Komponist für kolportierte 68.000 Kronen eine Villa erwarb.
Nebensächlichkeiten
Wer wann in welchem Hotel oder an welcher Privatadresse abstieg? Nachzulesen bei "Anno", im virtuellen Lesesaal der Nationalbibliothek, in den digitalisierten "Kur-Listen Bad Ischl". Jene vom 13. August 1912 führt den Herrn "Komponist, mit Kammerdiener, aus Wien" unter der Adresse "Villa Lehár, Rudolfkai 6", "Sophie Meth, Private, mit Dienerschaft, aus Wien" auf Nummer acht, im kleinen Stöckl hinter dem repräsentativen Bau am Traun-Ufer. Anlässlich seines 60. Geburtstages wird die Gemeinde diesen Teilabschnitt 1930 in Lehárkai umbenennen, aus Dank für die Treue, die er "Ischl als Sommergast bewahre, von wo aus seine Werke ihren Siegeszug durch die Welt nehmen" (Kleine Volks-Zeitung).
Es sind solche Nebensächlichkeiten, die mich eher interessieren als seine berufliche Vita, mit der ich mich ein paar Monate später doch noch zu beschäftigen beginne. Notgedrungen. Der Grund lauerte in einem Antiquariat in der Wiener Innenstadt, wohin es mich eigentlich wegen eines Gästebuches einer Villa am Semmering verschlug. In der Vitrine lag ein kleines Büchlein, gebunden in dunkelgrünem Maroquinleder, laut Aufdruck ein Daily Reminder von "Franz Lehar". Eine Art Tagebuch von 1911, informierte Erhard Löcker, das er vor einiger Zeit von einem amerikanischen Kollegen erworben hatte.
Ein komplettes Lebensjahr von Lehár also. Ein authentisches Dokument, das zwei Weltkriege und mehr als 100 Jahre überstanden hatte, überraschte mich. Kaufpreis: 8500 Euro. Blättern war erlaubt, auch ein paar Notizen. Nur zitieren, nicht transkribieren, versprach ich. Ein amerikanisches Kalenderprodukt, das der Komponist laut Vorsatz von "Henry W. Savage Inc." erhalten hatte. Sein amerikanischer Produzent, der die Lustige Witwe durch die Vereinigten Staaten touren ließ, wie ich später herausfand. "Kritische Tage", vermerkte Lehár auf dieser Seite, darunter ein paar Datumsangaben. "Riesige Kopfschmerzen gehabt. Alle 28 Tage?" unterstrich er am 23. Februar mit rotem Bleistift.
360 Seiten sind es, mit eingeklebten und teils kommentierten Zeitungsausschnitten. "Das Buch langweilig. Die Musik schlecht. Girardi sehr gut", notierte er etwa zur Operette Heimliche Liebe (Paul Ottenheimer, Julius Bauer) am Johann-Strauss-Theater. 70 Aufführungen prognostizierte er für Wien, "im Ausland wird's nicht gehen".
Die "menschelnden" Notizen amüsieren
"2 Karten für Paris gekauft 378 Kr gezahlt" zeugt von seiner Reise im Frühjahr, die ihn, nach einer "stürmischen Überfahrt", nach London führt. Zu den Proben zu The Count of Luxembourg am Daly's Theatre. Die Premiere am 20. Mai 1911 war ein Erfolg, "das Königspaar war bis zum Schluss der Vorstellung anwesend", beschreibt Lehár ebenso wie sein Treffen mit George V und sein Versprechen, besser Englisch zu lernen.
Biografen und Musikhistoriker hätten an diesem Fund wohl ihre helle Freude. Zumal Lehár eine zentrale Figur der Unterhaltungsindustrie war, der Andrew Lloyd Webber seiner Zeit, so sagt man. Für mich bleiben die im Laufe des Jahres 1911 erwähnten Personen Statisten einer mir fremden Welt, die ich ohne Stefan Freys Biografie von 1999 nicht zu decodieren imstande bin. Die da und dort eingestreuten "menschelnden" Notizen hingegen amüsieren mich. Wenn sich der Frauenheld Lehár beispielsweise in gleicher Sache über andere mokiert.
Etwa während des Aufenthaltes in Ischl, zwischen Fotografien von Sophie auf der Esplanade oder eingeklebten Zetteln zu seinem Körpergewicht – 77 Kilo 70 Deka (4. 7.), 78 Kilo 45 Deka (14. 8.). "Heute hat mich eine Szene direkt angeekelt", schrieb er am 25. Juli, nachdem sein "Schwager" Hans Meth die Nacht mit "der Charlé" verbracht hatte. Mit Valerie, der Ehefrau des Schauspielers und Theaterdirektors Gustav Charlé, geborener Schacherl. Was ihn echauffiert, ist die Duldung dieses Ehebruchs durch seine Schwiegereltern. Dabei hatte sein Verhältnis mit Sophie ja einige Sommer zuvor unter ähnlichen Umständen begonnen. Oder: "Treumann eine blöde Affäre mit der Myra gehabt", "Er ist unverbesserlich – schad um ihn!", urteilte er über seinen Startenor Louis Treumann, der damals mit Betty Myra in der Operette Die Sirene (Leo Fall) auf der Bühne stand. Er sollte 1943 im KZ Theresienstadt umkommen, wiewohl Lehár die Deportation einige Male verhindert haben soll.
Zäsur Nationalsozialismus
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte auch seinem Universum eine Zäsur beschert. Die Namen seiner jüdischen Librettisten verschwanden aus den Programmheften und von Plakaten. Zeitgleich wurde er als Großmeister der Operette hofiert und musste dennoch um das Leben seiner jüdischen Ehefrau Sophie fürchten.
Die beiden zogen sich nach Ischl zurück, wo die Gestapo jedoch bald vor der Tür stand. Die stets griffbereite Zyankali-Kapsel kam nicht zum Einsatz. In letzter Sekunde intervenierte Lehár erfolgreich beim zuständigen Gauleiter, schildert mir Marie-Theres Arnbom vergangene Woche. Dazu wurde sie, als gebürtige Ungarin, von den NS-Behörden als "Arierin" akzeptiert, da dort die Nürnberger Rassegesetze gar nicht galten.
Kann man Lehárs Tändelei mit dem Regime ignorieren? Eine Aufnahme aus dem Archiv des Museums der Stadt Bad Ischl zeigt ihn im Smalltalk mit einem fröhlich gestikulierenden Hitler im Frack. Gespenstisch, merkt Arnbom an, und doch muss man die Schattierungen berücksichtigen, Lehárs Zerrissenheit zwischen der offiziellen Politik und der Sorge um seine Kollegen und Freunde. Diesem Kapitel – und seiner Ehefrau Sophie – widmet sie als Kuratorin aktuell eine Ausstellung im Stadtmuseum Ischl, erzählt Arnbom.
Ich erwähne das Tagebuch, über dessen Notizen ich seit dem Herbst brüte und das noch immer einen neuen Besitzer sucht. Sie kennt es nicht, ist aber sofort begeistert. 24 Stunden später steht fest: Es wird auf Sommerfrische nach Bad Ischl geschickt und als Leihgabe des Antiquars in der Ausstellung gastieren. (Olga Kronsteiner, 17.6.2018)