Beate Meinl-Reisinger führt nun die überraschend heterogenen Neos.

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Eine neue Partei gründen und ins Parlament führen – das ist in Österreich in den letzten Jahrzehnten nicht vielen gelungen. Genau genommen sind die Neos neben den Grünen die einzige außerparlamentarische Kraft, die es im letzten halben Jahrhundert in den Nationalrat geschafft hat. Nach dem erfolgreichen Wiedereinzug (wobei die 5,3 Prozent auch kein extrem dicker Sicherheitspolster gegenüber der Vierprozenthürde sind) haben sie nun auch den ersten Wechsel an der Spitze hinter sich: Matthias Strolz hat am vergangenen Wochenende das Zepter an Beate Meinl-Reisinger übergeben.

Inhaltlich hat sich die pinke Partei im liberalen Quadranten des Parteienwettbewerbs positioniert. Neben gesellschaftspolitisch liberalen Positionen bedingt das auch wirtschaftsliberale Haltungen, etwa bei Diskussionen zur Gewerbeordnung, zur Kammerpflichtmitgliedschaft oder – wie zuletzt – zur Arbeitszeitflexibilisierung.

Allerdings verbirgt sich hinter der offiziellen Parteilinie in vielen Fragen eine große Meinungsvielfalt an der Basis – man kann auch Uneinigkeit dazu sagen. In einer Mitgliederumfrage habe ich 2016 mit meiner Kollegin Anita Bodlos von Neos-Mitgliedern ihre Haltung zu einer Reihe an politischen Themen erfragt. Die Grafik unten zeigt das Ausmaß an Zustimmung zu linken und rechten wirtschafts- und sozialpolitischen Aussagen.

Die ersten fünf gelisteten Aussagen wurden als wirtschaftspolitisch rechte Aussagen gewertet (das heißt, Zustimmung gilt als rechts, Ablehnung als links), die letzten drei als wirtschaftspolitisch linke (Zustimmung gilt als links, Ablehnung als rechts). Es zeigt sich, dass in Summe wirtschaftsliberale – also ökonomisch rechte – Positionen populärer sind. Im Schnitt bekommen sie 48 Prozent Zustimmung, linke hingegen nur 28 Prozent.

So gibt es große Ablehnung gegenüber zusätzlichen Staatsschulden und dem Staat als Eigentümer von Unternehmen, während Steuersenkungen auf Kosten von Sozialleistungskürzungen durchaus begrüßt werden. So weit, so erwartbar. Bei anderen Fragestellungen zeigen sich aber auch gegenteilige Tendenzen: Bei der Bekämpfung der Einkommensungleichheit und bei der Besteuerung von Vermögen gibt es in etwa gleich viele Pro- wie Kontrastimmen, und eine deutliche Kürzung der Mindestsicherung wird gar mit großer Mehrheit abgelehnt.

Die pinke Basis neigt also in Summe ökonomisch rechten Positionen stärker zu als linken. Bei manchen Fragen gibt es aber robuste Minderheiten mit anderen Ansichten oder sogar linke Mehrheiten. Die Einstellungen der Neos-Mitglieder sind demnach alles andere als uniform.

Wie das im Vergleich mit anderen Parteien ausschaut, lässt sich leider mangels anderer Mitgliederbefragungen nicht mit Sicherheit sagen. Die Befragung von Kandidaten zur Nationalratswahl 2013 zeigt bei den anderen Parteien größere Homogenität als bei den Neos-Mitgliedern. Allerdings sollte man davon ausgehen, dass Kandidaten die Parteilinie bei vielen Themen stärker verinnerlicht haben als einfache Mitglieder. Deswegen sagt dieser Vergleich nur wenig aus.

Für die Neos-Spitze bedeuten die heterogenen Meinungen an der Basis natürlich eine gewisse Herausforderung. Immerhin gibt es gerade für kleine Parteien Anreize, inhaltlich geschlossen aufzutreten (oder man spricht einfach mehr über die Dinge, bei denen man einer Meinung ist). Solange man sich im Bund in Opposition befindet, wird das noch kein allzu großes Problem darstellen. Bei einer allfälligen Regierungsbeteiligung wäre es aber wohl unvermeidlich, zumindest einen Teil der eigenen Mitglieder zu enttäuschen. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 26.6.2018)