Ein außenliegender Sonnenschutz wäre am effektivsten, weil dann die Wärme draußen bleibt.

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"Architekten ist oft die Farbe von Markisen sehr wichtig, nicht aber der Sonnenschutz", so Johann Gerstmann, Sprecher des Bundesverbands Sonnenschutztechnik.

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Trotz Klimawandels rückt das Thema Schutz vor sommerlicher Überwärmung in Wohngebäuden nur langsam in den Fokus von Architekten und Bauträgern. Johann Gerstmann, Sprecher des Bundesverbands Sonnenschutztechnik, sieht als Ursache dafür auch Ausbildungsmängel bei Architekten.

STANDARD: Die Sommer werden immer heißer. Täuscht der Eindruck, oder kommt das Thema sommerliche Überwärmung nur sehr langsam in der Hausbauszene an?

Gerstmann: Es wird schon zunehmend Thema, der Kampf gegen die sommerliche Überwärmung steht aber leider weder in der neuen EU-Gebäuderichtlinie noch in der österreichischen Klimastrategie. In der Gebäuderichtlinie wird der Sonnenschutz immerhin als wesentliche passive haustechnische Maßnahme erwähnt. Aber derzeit ist es noch so, dass in der geltenden OIB-Richtlinie 6 aus dem Jahr 2015 die Sommertauglichkeit einer Wohnung auch damit gewährleistet werden kann, dass gelüftet wird wie in einem Hühnerstall. Wem das nachts zu laut ist, kann dagegen im Zivilrechtsweg vorgehen.

STANDARD: Das klingt nicht sehr überzeugend ...

Gerstmann: Ich hatte einmal einen Fall in Linz, wo ein Mieter einer Genossenschaftswohnung feststellte, dass es viel zu warm wird, der Sonnenschutz nicht ausreicht. Der Mieter überlegte, wie er am besten vorgehen könnte, diskutierte zunächst mit der Genossenschaft. Diese hat sich dann darauf ausgeredet, dass lediglich der Durchschnitt der Wohnungen sommertauglich sein müsse – was definitiv nicht stimmt. Der ungünstigste Raum einer Wohnung ist das Maß der Dinge. Der Mieter hätte aber auf eigene Kosten einen Ziviltechniker engagieren müssen. Und ob der dann, um das Ganze nachzurechnen, die Unterlagen der Architekten bekommen hätte, ist fraglich. De facto ist das also nicht nachweisbar. Der Mieter ist nach einem Jahr ausgezogen.

STANDARD: Auch in Wien lässt sich beobachten, dass es bei vielen Neubauten nur einen innenliegenden Sonnenschutz gibt. Ist das genug?

Gerstmann: Am effektivsten ist er natürlich außen. Man muss aber sagen, dass heutzutage sehr viel mit Beschattungen, etwa durch Loggien, gearbeitet wird. Alles, was die OIB-Richtlinie 3 an Auskragungen zulässt, kann beobachtet werden, manchmal geht das auch darüber hinaus. Ist eine betonierte Loggia über einem südorientierten Fenster, braucht man da keinen Sonnenschutz, weil die Beschattung ausreicht. Ich sehe in diesen Loggien aber in erster Linie einen billig zu errichtenden, aber sehr teuer verkaufbaren Raum. Diese Beschattungen führen dann leider oft dazu, dass viel zu wenig Tageslicht in den Raum kommt. Dann schalten die Bewohner das Kunstlicht ein, und der Energieverbrauch steigt erst recht wieder.

STANDARD: Obwohl ja andererseits raumhohe Fenster gerade auch sehr beliebt sind ...

Gerstmann: Diese mögen aus gestalterischer Sicht oder für den Sichtbezug nach außen durchaus sinnvoll sein. Lichttechnisch bringt die Glasfläche im Parapetbereich aber überhaupt nichts. Das Licht strahlt nämlich vom Himmel hauptsächlich durchs obere Fensterdrittel in den Raum. Mit einer Loggia über dem Fenster fällt also sehr viel Licht weg.

STANDARD: Was bedeutet "sommerliche Überwärmung" eigentlich?

Gerstmann: Laut OIB-Richtlinie 6 ist die Planung von Gebäuden so auszuführen, dass die Innentemperatur während des Tages ohne mechanische Kühlung nicht über 27 °C und während der Nacht nicht über 25 °C liegt* (siehe dazu eine Richtigstellung der Architektenkammer am Ende des Interviews, Anm.). Diese Werte dürfen allerdings innerhalb von zehn Jahren an 130 Tagen überschritten werden. Ich bin aber eigentlich gegen den Begriff "sommerlich", denn der Sommer beginnt heute im April und dauert bis Oktober. Und unsere energiesparende Bauweise erhöht in diesem ganzen Zeitraum das Überwärmungsrisiko. Man hat übersehen, dass die Gebäude viel leichter überwärmen, wenn sie dichter sind und gleichzeitig auch hochgedämmte Glasflächen größer werden.

STANDARD: Wenn es draußen wärmer wird, könnte man natürlich auch einfach die 27-Grad-Grenze nach oben setzen.

Gerstmann: Das kann meiner Ansicht nach auch passieren. Und das ist ja auch teilweise sinnvoll, denn wenn es draußen 35 Grad oder mehr hat, werden bis zu einem gewissen Maß auch etwas höhere Raumtemperaturen von den meisten Personen als komfortabel empfunden. Da muss man sich dann halt leichter anziehen. Aber bekanntlich sinkt natürlich die Leistungsfähigkeit, insbesondere bei Schülerinnen und Schülern. Ich darf auch hin und wieder als Fachplaner für die BIG arbeiten, da erlebe ich immer wieder, dass Architekten die Farben von Markisen oder Lamellen sehr wichtig sind, aber Themen wie Tageslichteinfall nur eine untergeordnete Rolle spielen. Aus biologischen Gründen ist Tageslicht sehr wichtig, es lässt sich durch Kunstlicht nicht ersetzen, wird im Regelwerk für den Wohnbau aber nicht ausreichend berücksichtigt.

STANDARD: Sind die Architekten zu wenig im Thema drin?

Gerstmann: Ich will sie nicht pauschal verurteilen. Ich glaube aber, dass wir da schon ein Bildungsproblem haben. Mir haben Architekten schon öfter gesagt, dass das Thema Sonnenschutz in ihrem Studium einfach nicht vorkam. Dabei ist das Hauptproblem in Zukunft, wie wir mit der zunehmenden Wärme in Innenräumen umgehen. Derzeit ist es noch so, dass man als Mieter, wenn es zu warm ist, in den Baumarkt geht und sich ein Split-Klimagerät kauft. Damit verschiebt man aber die Kosten für thermischen Komfort zu den Nutzern und sogar zu den sozial Schwächsten. Das finde ich ganz besonders pervers. Dabei können Wohngebäude bei entsprechender Planung die 27-Grad-Grenze auch bei 1,5 Grad Klimaerwärmung gewährleisten. Da gehört alles dazu: der Sonnenschutz, die Lüftung, die Bauwerksbegrünung, das Glas und natürlich auch die Erziehung der Nutzer. Wenn man denen – was ich auch schon öfter erlebt habe – einfach nicht sagt, dass sie mit einem Schalter mit zwei Pfeilen drauf den Sonnenschutz rauf- oder runterfahren können, dann machen die das natürlich nicht.

STANDARD: Gibt es auch Best-Practice-Beispiele aus Ihrem Alltag?

Gerstmann: Ja, die neue Wohnbauförderung in Tirol. Dort ist man auf uns zugekommen, weil man Sonnenschutz gerne fördern wollte, aber draufkam, dass die Berechnungen für Energieberater viel zu kompliziert sind. Wir haben uns dann gemeinsam angesehen, wie wir das vereinfachen können: kleine Fenster gleich abziehen, weil man einen Abstellraum oder ein Klo nicht beschatten muss. Insgesamt müssen mindestens 75 Prozent der Glasflächen – also fast alle von Nordost bis Nordwest – einen außenliegenden und automatisierten Sonnenschutz haben, wobei der Energiedurchlassgrad (g-Wert) von Verglasung und Beschattung nicht höher als 15 Prozent sein darf. Damit ist gewährleistet, dass auch noch ausreichend natürlich belichtet wird. Außenjalousien, Rollläden und alle Markisen – außer wenn der Markisenstoff weiß ist – unterschreiten diesen Wert und sind somit nachweisfrei. Der Bauwerber geht nun mit seinen Plänen und der detaillierten Rechnung für den Sonnenschutz, sowie bei Markisen mit dem Tabellenblatt des Herstellers, zur Förderstelle, die kann das innerhalb von fünf Minuten nachvollziehbar kontrollieren. So einfach ist das. (Martin Putschögl, 7.7.2018)