Preisgekrönt: Radu Judes "I Do Not Care If We Go Down in History ..."

foto: festival karlovy vary

Eine Rückkehr in die Vergangenheit sei weder möglich noch wünschenswert, erklärt Wladimir Putin in die Kamera von Vitali Manski. Im Widerspruch dazu stellt Putin die Entscheidung, als russischer Präsident die Sowjethymne wiedereinzuführen, nur Sätze später als "moralische Pflicht" dar. Alles andere wäre grausam gegenüber den eigenen Eltern. Man könne ihnen schließlich nicht alles nehmen. Und überhaupt: Kann die alte Hymne nicht für den Sieg im Zweiten Weltkrieg stehen statt für den Gulag?

Das Videomaterial stammt aus dem Jahr 2000. Damals bekam Dokumentarfilmer Manski einen privilegierten Zugang zu Putin: Er hatte den Auftrag einen PR-Film über den neuen Präsidenten zu drehen. Er war nach dem Rücktritt Boris Jelzins zwar schon im Amt, musste aber seine Herrschaft über eine Wahl noch legitimieren.

Trailer zu "Putin’s Witnesses".
KVIFF

18 Jahre später hat sich Manski sein Rohmaterial noch einmal angeschaut und einen sehr persönlichen Film daraus gemacht. In Putin’s Witnesses wird deutlich, dass der Dauerherrscher von Anfang an ein Meister der psychologischen Manipulation der Massen war. Eine seiner schärfsten Waffen dabei: eine auf einem Auge blinde Vergangenheitspolitik.

Filme über eine nicht "bewältigte" Geschichte in den Staaten des ehemaligen Ostblocks gehörten zu den Höhepunkten des Programms des 53. Internationalen Filmfestivals von Karlovy Vary, der bedeutendsten Veranstaltung dieser Art in Osteuropa. Manskis Film gewann den Hauptpreis im Dokumentarfilm-Wettbewerb.

Im internationalen Spielfilm-Wettbewerb wurde Radu Judes I Do Not Care If We Go Down in History as Barbarians ebenso verdient ausgezeichnet – ein Werk so lang, sperrig und kompromisslos wie sein Titel. Der Regisseur selber warnte vor der Premiere lakonisch, die Mitte seines Films sei etwas langweilig geraten, aber dafür sei ihm der Schluss gelungen.

Ausschnitt aus "I Do Not Care If We Go Down in History ..."
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Jude verlangt vom Zuschauer Geduld, doch die wird reichlich belohnt. Die erste lange Einstellung zeigt lediglich einen Fernseher, auf dem eine deutsche Wochenschau aus dem Zweiten Weltkrieg läuft: Rumänische Soldaten hauen in Odessa einen kommunistischen Stern von einem Gebäude und hissen stattdessen die eigene Flagge. In der nächsten Einstellung folgt eine wackelige Handkamera einer jungen Frau, die atemlos in einem Militärmuseum ein Casting durchführt.

Nach und nach stellt sich heraus, dass sie Regisseurin ist. Mitten in Bukarest plant sie eine Open-Air-Performance, die an populäre Reenactments historischer Schlachten angelehnt ist. Konkret geht es um die Schlacht um Odessa 1941, in der rumänische Soldaten als Verbündete der deutschen Wehrmacht die Stadt eroberten und ein Massaker an der jüdischen Bevölkerung verübten.

Arsenal des Leugnens

Die engagierte Regisseurin will mit ihrem Stück ein Bewusstsein schaffen für die Mitverantwortung Rumäniens am Holocaust. Dabei stößt sie überall auf Widerstand in einer Gesellschaft, die sich eingerichtet hat, in einem Selbstbild als Opfer des Nationalsozialismus und Kommunismus.

Doch Judes Film geht nicht nur Rumänen an. In den Diskussionen, die die Regisseurin führt, wird das ganze Arsenal von Leugnungen, Relativierungen, Ablenkungen und Zynismen virtuos durchgespielt. Alles, was von Populisten genutzt wird, wenn es darum geht, sich die negativen Seiten der eignen Vergangenheit fernzuhalten.

Trailer zu "Volcano".
Screen International

Eine ganz andere – sehr pragmatische – Art des Umgangs mit Geschichte zeigte dagegen Volcano. Der Film war einer der Höhepunkte im "East of the West"-Wettbewerb des Festivals mit Beiträgen aus Osteuropa, Zentralasien und dem Iran. In dem bildgewaltig-bizarren Spielfilmdebüt von Roman Bondarchuk geht ein OSZE-Beobachter auf der Krim verloren. Er landet bei einer Familie, deren Oberhaupt früher Leiter einer kollektivistischen Fischfarm war. Mit einem Metalldetektor ziehen die beiden Männer los, um Überreste deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg zu finden. Sie hoffen, diese zu Geld machen zu können. Als sie erfahren, dass drumherum Lenin-Denkmäler geschleift werden – wittern sie ein lukratives Geschäft.

Eine Reflexion über die traumatische Vergangenheit will und kann sich hier in Kriegszeiten niemand leisten. Was bleibt, ist eine mythisch verklärte Verbundenheit zur Scholle. (Sven von Reden, 9.7.2018)