Wunderwaffe Chili: Die Scharfmacher können auch den Appetit zügeln.
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Dass Chilis so etwas wie eine Wunderwaffe für den Körper sind, ist schon länger bekannt. Insbesondere der Inhaltsstoff Capsaicin, der für die Schärfe verantwortlich ist, hat eine Reihe positiver Effekte für die Gesundheit. Der Hitze- und Schärfereiz hebt die Stimmung und regt die Durchblutung an – weshalb den scharfen Schoten auch eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wird.

Darüber hinaus ist Capsaicin entzündungshemmend und kann sogar lebensverlängernd wirken, wie Wissenschafter von der Universität Vermont herausfanden. Es wird traditionell bei Verdauungs- und Kreislaufbeschwerden und in Form von Pflastern und Salben bei Muskelschmerzen angewandt. Forscher konnten auch Erfolge bei der Behandlung chronischer Entzündungskrankheiten, vor allem im Fall von Arthritis, erzielen, und fanden Hinweise auf eine krebshemmende Wirkung. Außerdem stellte sich heraus, dass die Scharfmacher den Appetit zügeln und zur Gewichtsreduktion beitragen können.

Regulierung des Hungergefühls

Es gibt nur ein Manko: Capsaicin ist ungemein scharf und darf in Europa als Reinsubstanz Lebensmitteln in keiner Form zugesetzt werden. Im Gegensatz dazu darf Nonivamid, eine mit Capsaicin verwandte Substanz, die ebenfalls in Chilischoten vorkommt, als Zusatzstoff verwendet werden. "Nonivamid ist nur etwa halb so scharf wie Capsaicin und zeigt je nach Wirkort ähnliche, vereinzelt sogar bessere Wirkungen", sagt Veronika Somoza, Vorständin des Instituts für Physiologische Chemie der Universität Wien. "Man kann es in wesentlich geringeren Mengen einsetzen."

In dem von ihr geleiteten, an der Universität Wien angesiedelten Christian-Doppler-Labor für Bioaktive Aromastoffe hat Somoza gemeinsam mit ihrem Team in den vergangenen sieben Jahren verschiedenste Substanzen auf ihre physiologische Wirkung getestet, insbesondere was die Regulierung des Hungergefühls betrifft. In den Laborexperimenten erwies sich Nonivamid als vielversprechend, weshalb die Forscher um Somoza den Stoff genauer unter die Lupe nahmen und seine Wirkungsweise bis hinein in die Körperzellen verfolgten.

Weniger Körperfett

Eine Studie mit 24 leicht übergewichtigen Männern zeigte, dass jene Probanden, die eine Lösung mit Nonivamid getrunken hatten, bei einem reichhaltigen Frühstück weniger zugriffen als jene, die keine bekamen. "Die Einnahme von Nonivamid führte dazu, dass zehn Prozent weniger Energie aufgenommen wurde", sagt Somoza. Eine Langzeitstudie, in der 19 moderat übergewichtige Personen über einen Zeitraum von zwölf Wochen getestet wurden, ergab, dass die Probanden, die täglich eine Ration Nonivamid zu sich nahmen, zwar nicht unbedingt weniger aßen, aber nach der Intervention weniger Körperfett aufwiesen. Der Verzehr von Nonivamid mache nicht automatisch schlank, betont Somoza, könne aber zusammen mit einer ausgewogenen Ernährung "einen Beitrag leisten, um abzunehmen".

Doch wie funktioniert das? "Nonivamid hat ebenso wie Capsaicin einen Einfluss auf den Fettstoffwechsel", sagt Somoza. "Es bewirkt, dass sich weniger Fettgewebe bildet." Das wiederum ist darauf zurückzuführen, dass Nonivamid wie Capsaicin an bestimmte Schmerzrezeptoren andockt. Diese Rezeptoren, die auf Schärfe genauso wie auf Hitze reagieren, sorgen dafür, dass die Körpertemperatur – und auch der Energieverbrauch – steigt.

Sättigende Glückshormone

Dazu kommt, dass die Registrierung von Schärfe das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert und die Produktion von Serotonin und Dopamin anregt – Glückshormone, die auch ein Sättigungsgefühl hervorrufen. "Wir haben herausgefunden, dass die Nonivamid-vermittelte Ausschüttung dieser Hormone nicht nur von den Schmerzrezeptoren abhängig ist, sondern auch über Darmzellen ausgelöst werden kann", sagt Somoza. Das würde bedeuten, dass weniger scharfe Nonivamide auch über die Verdauung ihre sättigende Wirkung entfalten könnten. "Man könnte Nonimavid als Gewürz verwenden oder in Diätprodukte integrieren", meint Somoza.

Dass sich nicht nur Geschmacksrezeptoren im Mund auf die Magensäureproduktion und damit auch auf die Sättigung auswirken, sondern auch Rezeptoren im Verdauungstrakt, haben Somoza und Kollegen bereits in einer viel beachteten, im Fachmagazin "PNAS" veröffentlichten Studie über den Effekt von Koffein in Kombination mit Bitterstoffhemmern gezeigt. Der Bitterstoffhemmer Homoeriodictyol, ein Inhaltsstoff der Arzneipflanze Herba Santa, hat übrigens eine gegenteilige Wirkung wie Chili: Er ist appetitanregend – was neue Ansätze bei der Behandlung von Appetitlosigkeit im Alter verspricht. (Karin Krichmayr, 11.7.2018)