Die Industrieruine Zwentendorf im Jahr 2003: das einzige Atomkraftwerk, das gebaut wurde, aber nie in Betrieb ging.

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Alle reden in ausgiebigen Reminiszenzen von 1968 und hängen dabei möglicherweise unerfüllten Träumen nach. Realpolitisch wichtiger und wirkmächtiger waren aber höchstwahrscheinlich Ereignisse im Jahr 1978. Unser eigener österreichischer Umgang mit nachhaltiger Energienutzung und, auf einem ganz anderen Blatt, die gegenwärtige Situation in Polen, die mit der Wahl des Erzbischofs von Krakau, Karol Wojtyla, zum Papst begann, ist ohne eine Beschäftigung mit den damaligen Vorgängen nicht nachvollziehbar.

So ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, wie die öffentliche Diskussion in Österreich bei einer knappen Mehrheit für – statt gegen – das Atomkraftwerk Zwentendorf bei der Volksabstimmung im November 1978 weiter verlaufen wäre. Tatsächlich handelt es sich um das weltweit einzige fertiggebaute Kernkraftwerk, das nie eröffnet wurde. Vertreter der Gewerkschaft und der Wirtschaft sahen dies als eine unverantwortliche Vergeudung von Budgetmitteln an.

Vorgetragen wurden die Argumente dabei von Persönlichkeiten, die den Eindruck von Vernunft und Seriosität vermitteln sollten. Entstanden war das entsprechende Gesetz aus einer Diskussion im engsten Führungskreis der damals allein regierenden SPÖ.

An Kreiskys Krankenbett

Wie der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer heuer bei einem Zeitzeugengespräch in der Pädagogischen Hochschule Wien mitteilte, wurde er gemeinsam mit anderen führenden Funktionären von Kanzler Bruno Kreisky an dessen Krankenbett im AKH gerufen, um eine Lösung für die damalige heftige politische Auseinandersetzung zu finden. Das Ergebnis war die für 5. November 1978 angesetzte Volksabstimmung.

Doch auch die Zwentendorf-Gegner waren keine Revoluzzer oder Maschinenstürmer. Gegenüber den Protestierenden von 1968 war eine andere Generation herangewachsen. Statt von der Weltrevolution zu träumen, wandte man sich realen Problemen zu. Die Verhinderung der Atomkraft war so ein konkretes Ziel, das sicher im hohen Maß von der studentischen Jugend getragen wurde. Doch sie war nicht allein, denn die Einwände gegen das Atomkraftwerk wurden auch von arrivierten Wissenschaftern präsentiert. Weitere Bevölkerungskreise schlossen sich den Protesten an.

Damit kam eine Mehrheit gegen Zwentendorf zustande, die kurz davor noch als unmöglich gegolten hatte. Zum ikonografischen Bild des Jahres wurde der Gesichtsausdruck des sonst so ernsten Hochrechners Gerhart Bruckmann. So zeigte er bei seiner Präsentation des Ergebnisses im ORF ein offiziell wohl nicht vorgesehenes Lächeln.

Heute ist die Ablehnung der Atomkraft in Österreich allgemein akzeptierter Konsens. Dass dem eine massive Auseinandersetzung vorangegangen war, ist nur mehr der älteren Generation bewusst.

Ein Ereignis von globaler Bedeutung war die am 16. Oktober 1978 erfolgte Wahl des Erzbischofs von Krakau, Karol Wojtyla, zum Papst. Er war der erste Nichtitaliener nach 455 Jahren und überdies aus einem kommunistischen Land.

Der Papst aus Polen

Als Johannes Paul II. konnte er auf seine polnische Heimat einen Einfluss ausüben, der ebenso wenig vorstellbar schien. Insbesondere sein erster Besuch im Juni 1979, den das kommunistische Regime wegen seiner Popularität nicht zu verhindern wagte, machte eine Bewegung wie Solidarnosc im Sommer 1980 überhaupt erst möglich. Die katholische Kirche war damit tief in der Bevölkerung, nicht zuletzt in der Arbeiterschaft, verankert. Da die Bewegung sehr breit war, umfasste sie auch höchst unterschiedliche Persönlichkeiten.

Nach der Wende, die in Polen vor den Nachbarländern begann, setzten sich zunächst Gruppierungen, die man heute wohl als gemäßigt bezeichnen würde, erfolgreich an der Spitze des nunmehr demokratischen Staates durch. Dafür steht einerseits der erste nichtkommunistische Premier, Tadeusz Mazowiecki, andererseits Lech Walesa als Staatspräsident.

Zur Solidarnosc-Bewegung gehörten aber auch Lech und Jaroslaw Kaczynski, daher war es auch naheliegend, dass sie beide enge Mitarbeiter in dessen Präsidialamt wurden. Es kam allerdings bald zum Bruch, wofür es sowohl politische als auch private Gründe gab.

An den rechten Rand gerückt

Die Rückkehr auf die öffentliche Bühne in den 2000er-Jahren unternahmen die Kaczynskis aber nicht mehr in der Mitte, sondern am rechten Rand des politischen Spektrums. Inzwischen war allerdings auch in der katholischen Kirche, vor allem im Episkopat, aber auch im Klerus, nur mehr der prononciert konservative Flügel übrig geblieben. Die Gläubigen, soweit sie in der Kirche verblieben, wurden zu treuen Wählern der PiS, der Partei Jaroslaw Kaczynskis. Sie lebt heute noch vom Nimbus der Kämpferin gegen den Kommunismus.

1978 standen der Papst und die katholische Kirche Polens nicht nur für Religionsfreiheit, sondern auch für politische Freiheit. In Österreich nahm die "Generation of 78", auch wenn sie nur mehr wenig katholisch sozialisiert war, sehr wohl Anteil an den Ereignissen in Osteuropa und veranstaltete daher sowohl im Sommer 1980 zu Beginn der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc als auch im Dezember 1981 zur Ausrufung des Kriegsrechts durch das kommunistische Regime Solidaritätskundgebungen.

Dass Johannes Paul II. später vor allem dogmatische Verengung symbolisierte und verunglückte Bischofsernennungen zumindest zuließ, war zu der Zeit noch kein Thema.

Wer sich 1978, insbesondere in jungen Jahren, engagieren wollte, tat dies auf nationaler Ebene gegen Zwentendorf, international sympathisierte man mit den um mehr Freiheit kämpfenden Polen. Eine Schnitte Zuversicht könnte man sich, nach vierzig Jahren, von 1978 abschneiden! (Paul Mychalewicz, 12.7.2018)