Wien/Brüssel – Die türkis-blaue Regierung hat zum großen Ausmisten aufgerufen. Die diversen Interessenvertretungen sollten beim Justizministerium einmelden, in welchen Bereichen Österreich aus ihrer Sicht EU-Mindeststandards übererfüllt. Satte 489 Beispiele wurden für diese Anti-Gold-Plating-Initiative gesammelt, darunter die von der Wirtschaftskammer nominierte fünfte Urlaubswoche, die prompt für heftige Kritik sorgte.

Österreich ist aber keineswegs nur Vorzugsschüler und Übererfüller von EU-Regelungen. Die EU-Kommission gibt jedes Jahr einen Bericht heraus, in dem sie genau untersucht, wie eifrig die Mitgliedstaaten europäisches Recht umsetzen. Aus dem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht für 2017 geht hervor, dass Ende des Vorjahres satte 62 Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich liefen, weil EU-Vorgaben entweder zu spät oder unvollständig umgesetzt wurden. Wie diese Grafik zeigt, gibt es mittelfristig eher einen ansteigenden Trend, nur 2016 gab es noch mehr Fälle:

Im oberen Drittel

Im europäischen Vergleich liegt die Republik damit im oberen Drittel in Sachen Säumigkeit. Die meisten Verfahren laufen gegen Spanien (93), gefolgt von Portugal (85) und Belgien (81). Jenes Land, das aus Brüsseler Sicht die wenigsten Probleme bei der Rechtsumsetzung verursacht, ist Dänemark, gegen das lediglich 28 Vertragsverletzungsverfahren laufen, wie diese Aufstellung zeigt:

Nicht selten landen heikle Fälle auch beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein paar Auszüge aus den prominenteren österreichischen Causen: Im Streit um die Zuständigkeit für Asylverfahren nach dem Dublin-System blitzte die Republik beim EuGH ab. Er stellte fest, dass die Zuständigkeit für das Verfahren an Österreich übergeht, wenn ein Flüchtling nicht binnen sechs Monaten an ein anderes EU-Land überstellt wird.

Häufig Probleme bei Umweltthemen

Für Schlagzeilen sorgte auch ein Urteil, wonach anerkannten Umweltschutzorganisationen ein Mitspracherecht in Wasserrechtsverfahren gewährt werden muss. Bei Umweltthemen wird Österreich generell häufig gerügt. Von den 28 Vertragsverletzungsverfahren, die im Vorjahr eingeleitet wurden, entfielen allein acht auf diesen Bereich.

Dieser Trend hat sich auch heuer fortgesetzt. Erst im Mai klagte die Kommission, weil das Land Niederösterreich – auf Drängen der Jägerschaft – die Jagd auf Waldschnepfen während ihrer Brut- und Aufzuchtzeit genehmigt hatte. Waldschnepfen gehören allerdings zu den geschützten Vogelarten, weshalb Brüssel einen Verstoß gegen EU-Vorschriften über die Erhaltung von wild lebenden Vogelarten sieht.

Radioaktiver Abfall

Gleichzeitig wurde ein Verfahren eingeleitet, weil es Österreich verabsäumt hat, ein Programm zur Entsorgung radioaktiver Abfälle vorzulegen, die nicht nur bei der Stromerzeugung, sondern auch in der wissenschaftlichen Forschung anfallen können.

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Ein Fähnchen ohne Wind.
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Schon seit mehr als zwei Jahren ist wiederum ein Verfahren anhängig, weil in mehreren Regionen der Ausstoß von Stickstoffdioxid zu hoch ist und die Kommission darin einen Verstoß gegen die Luftqualitätsrichtlinie sieht. Ob dieses Verfahren angesichts von Test mit Tempo 140 auf den Autobahnen zu Österreichs Gunsten ausgeht, scheint fraglich. (Günther Oswald, 14.7.2018)