Selbsttherapie im Tierreich: Auch Madagassische Rotstirnmakis dürften sich am Medizinschrank der Natur bedienen.
Foto: Louise Peckre

Göttingen – Evolutionsbiologisch betrachtet ist die Erhaltung der Gesundheit überlebenswichtig. Insofern verwundert es auch nicht weiter, dass nicht nur der Mensch sich mit Medikamenten gegen Krankheiten schützt. Auch im Tierreich betreiben viele Arten Selbstmedikation: Schimpansen fressen bestimmte Pflanzen, um Erkrankungen zu behandeln, manche Vögel reiben sich bestimmte Blätter oder Ameisen ins Gefieder, weil deren Säure lästige Parasiten vertreibt. Die gleiche Wirkung hat auch Nikotin, weshalb bestimmte Vogelarten gerne Zigarettenstummel in ihre Nester legen. Und zuletzt nährte sogar ein "rauchender" Elefant die Vermutung, dass er sich kuriert.

Ein rätselhaftes Verhalten

Für Rotstirnmakis wiederum dürfte eine bestimmte Tausendfüßerart eine Geheimwaffe aus dem Medizinschrank der Natur sein, wie Louise Peckre und ihre Kolleginnen vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen bei Feldforschungen herausgefunden haben. Bisher hatten Forscher gerätselt, warum die auf Madagaskar beheimateten Lemuren die Gliederfüßer kauen und die orange gefärbte Flüssigkeit über Teile ihres eigenen Körpers reiben. Dient dieses Verhalten als eine Form der Kommunikation? Werden auf diese Weise giftige Substanzen vor dem Fressen entfernt? Oder ist es eine Form der Selbstmedikation bei Krankheiten?

Bittere Medizin: Ein Vertreter jener Tausendfüßerart im Kirindy-Wald von Madagaskar, die von den Lemuren gekaut wird.
Foto: Louise Peckre

Peckre und ihr Team haben sechs Tiere unterschiedlichen Alters und Geschlechts dokumentiert, die auf Tausendfüßern kauten. Durch das Kauen hat sich eine größere Menge einer orange gefärbten Flüssigkeit gebildet, vermutlich eine Mischung aus Speichel und Tausendfüßersekret. Anschließend haben sich die Rotstirnmakis mit den zerkauten Tausendfüßern Haut und Fell rund um Genitalien, Darmausgang und Schwanz eingerieben. Einige Tausendfüßer wurden von den Affen nach ausgiebigem Kauen auch gefressen.

Benzochinon als Wirkstoff

Wie Louise Peckre, Erstautorin der Studie im Fachblatt "Primates", vermutet, werden die Tausendfüßer auch deshalb gefressen, weil sie Benzochinon ausscheiden, eine chemische Verbindung, die auch Mücken abwehrt. Das Fressen und Einreiben könnte dazu beitragen, Magen-Darm-Parasiten loszuwerden und speziell gegen bestimmte Nematoden wirken, die bekanntermaßen Hautirritationen rund um den Darmausgang hervorrufen.

"Bei unseren Beobachtungen sind uns bei mehreren Tieren kahle Stellen am unteren Rücken aufgefallen, die wahrscheinlich durch wiederholtes Scheuern entstanden sind und damit auf einen Befall mit Nematoden hinweisen", so Peckre. Diese Würmer und ihre Eier führen bei befallenen Tieren oftmals zu juckenden Hautausschlägen. Der auch für Menschen problematische Madenwurm gehört ebenfalls zu dieser Gattung von Nematoden.

Die Forscher sprechen freilich keine Empfehlung aus, dass Menschen, die von Madenwürmern befallen wurden, ebenfalls Tausendfüßer kauen sollten. (tasch, 30.7.2018)