Da war die Stimmung noch deutlich besser: Präsident Hans Peter Haselsteiner und Intendant Gustav Kuhn bei der diesjährigen Eröffnung der Tiroler Festspiele Erl Anfang Juli.

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Tirol ist wieder einmal anders. Während die #MeToo-Debatte in vielen Ländern dazu geführt hat, dass – wenn zum Teil auch seit Jahrzehnten bekannte – sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch nun nicht mehr akzeptiert werden, wie bei dem Dirigenten James Levine oder jüngst bei Daniele Gatti, geschieht in Tirol – nichts.

Liberalität und demokratische Kultur bilden hierzulande seit jeher nur eine sehr dünne Schicht über den politischen Machtstrukturen, die nur allzu schnell brüchig wird und ein hässliches Antlitz enthüllt. Der Umgang mit der "Causa Kuhn" lässt diese hässliche Seite grell aufleuchten. Auf die schon im Februar öffentlich gemachten Vorwürfe wurde seitens der Politik kaum reagiert – die damals angekündigte unabhängige Kommission zur Klärung der Anschuldigungen von Lohndumping bis hin zu sexuellen Übergriffen wurde nie installiert. Maßnahmen, die gesetzt wurden, fanden offenbar nicht das Vertrauen der Betroffenen.

Weiter dirigieren

Selbst nach dem offenen Brief von Künstlerinnen, die dem künstlerischen Leiter der Tiroler Festspiele Erl Gustav Kuhn Machtmissbrauch, Mobbing und sexuelle Übergriffe vorwarfen, sah sich die Politik nicht veranlasst zu handeln. Kuhn wurde nicht seines Amtes enthoben, er selbst stellte seine Funktion ruhend. Und obwohl Landesrätin Beate Palfrader Ende Juli noch meinte, dass nun nicht zur Tagesordnung übergegangen werden könne, darf Kuhn – vor Klärung der Vorwürfe (!) – weiter dirigieren.

Aber nicht nur die Politik und die künstlerische Leitung sind in ein schräges Licht geraten, auch Hans Peter Haselsteiner, der Präsident der Festspiele und (ehemals) ein weithin geschätzter Liberaler, hat sich selbst entzaubert, als er die Festspiele provokant-trotzig mit seinem dumpf-sexistischen "Wein, Weib und Gesang"-Satz eröffnete. Der ungestörte Ablauf der Festspiele war ihm wichtiger, als zu den Vorwürfen der Künstlerinnen endlich Stellung zu beziehen.

Anlass für Satire

Die Medien – vielmehr das Tiroler Medium, die "Tiroler Tageszeitung" - scheinen sich in dieser Causa ganz der Tiroler Politik unterworfen zu haben. Nur ein Beispiel dafür ist, dass ein Kommentar zum Thema in der "Tiroler Tageszeitung" nicht erscheinen konnte. Grund dafür: die namentliche Nennung des Journalisten Markus Wilhelm, der die Vorkommnisse rund um die Festspiele Erl öffentlich machte. Seit Monaten bezeichnet ihn die "Tiroler Tageszeitung" nur als "der Blogger". Die krampfhafte Nichtnennung Wilhelms war schon Anlass für Satire – die Grenze zur Peinlichkeit ist längst überschritten.

Das Versagen der Tiroler Medien und der politischen Öffentlichkeit geht aber weiter. Wilhelm, der als Einziger ernsthafte Aufklärung betrieb, wurde von Hans Peter Haselsteiner, Gustav Kuhn und den Tiroler Festspielen Erl mit zwischenzeitlich zwölf Klagen überzogen, sieben sind immer noch anhängig. Man kommt kaum umhin zu denken, dass hier eine Existenz zerstört, ein unliebsamer Kritiker ein für alle Mal mundtot gemacht werden soll – allen anderen wird die Rute ins Fenster gestellt.

Erfolgreich, wie es scheint, denn die politische Öffentlichkeit Tirols wurde damit stumm gemacht. Demonstriert wurde damit auch eine unverhohlene und ungenierte Regulierung der politischen Öffentlichkeit mit der Macht des Geldes.

Machtmissbrauch

Die Causa Kuhn und ähnliche Fälle machen den strukturellen Charakter der Problematik deutlich: Undemokratische, intransparente Strukturen, unhinterfragte, unantastbare und in der Regel männlich besetzte Leitungspositionen führen oft zu Machtmissbrauch. Und der drückt sich nicht zufällig oder in Ausnahmefällen, sondern in der Regel in der Anmaßung einer Verfügungsgewalt über den Körper Abhängiger oder Schwächerer aus. Insbesondere im künstlerischen Bereich scheinen rechtliche Regelungen und Standards kaum Wirkung zu zeigen.

Das Tiroler Beispiel zeigt aber auch einmal mehr, dass Risiken jene eingehen, die Übergriffe und Missstände aufdecken oder anklagen. Die Glaubwürdigkeit der Opfer wird in Zweifel gezogen, und Täter werden zu Opfern stilisiert. Jenen Künstlerinnen, die Ende Juli Gustav Kuhn Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorwarfen, wurde prompt – und wider besseres Wissen – unterstellt, sie hätten die Vorwürfe erhoben, weil sie nicht mehr engagiert worden waren.

Aber auch Nicola Werdenigg musste sich vor wenigen Wochen fragen lassen, ob sie gelogen habe, als sie sexuelle Gewalt im ÖSV-Kontext anprangerte. Die Würde der Opfer bleibt antastbar. Das macht es für Betroffene schwierig, den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen.

Es besser machen

Es sollte der (Tiroler) Politik ein Anliegen sein, dass eine Institution wie die Erler Festspiele weder ein Synonym für die Ausbeutung von Musikerinnen und Musikern aus Osteuropa noch eines für akzeptierte sexuelle Übergriffe bleibt. Noch besteht die Chance, Versäumnisse gutzumachen und vor allem dem Anliegen der Künstlerinnen von Erl zu entsprechen – es für die nächste Generation besser zu machen. (Alexandra Weiss, 13.8.2018)