STANDARD: Sie haben zuletzt mit Ihrer Serie "Schleier-Haft" für Aufsehen gesorgt. Sie kombinieren dabei die westliche Hausfrauenästhetik der 50er-Jahre mit Schleier tragenden Frauen und wollen damit die Doppelmoral von Rechtspopulisten demaskieren. Erklären Sie uns das?

Sengl: Rechtspopulisten kritisieren gerne den Islam, um sich selbst als Feministen darzustellen. Andererseits ist die Frauenpolitik in Österreich derzeit rückschrittlich. Ich bediene mich also des Schleiers, um aufzuzeigen, dass es nicht in Ordnung ist, die Frau zu verhüllen und einzusperren, und zeige gleichzeitig auf, dass es eine Tendenz gibt, die Frau wieder an den Herd zu drängen.

STANDARD: Soll sich da auch die ÖVP angesprochen fühlen oder nur die Freiheitlichen?

Sengl: Ich spreche einerseits die Rechtspopulisten an, andererseits alle Regierenden, die etwas im positiven Sinne ändern können.

Bogner-Strauß: Ich werde etwas im positiven Sinne ändern. Ich habe mir in den vergangenen Monaten viele Studien angesehen und setze Akzente danach, wo wir nachhaltig am meisten erreichen können. Dazu gehört die intensive Arbeit im Bereich Gewaltschutz. Wir hatten heuer so viele Morde im familiären Umfeld wie noch nie. Und es gibt so viele Anzeigen wegen Vergewaltigung wie noch nie. Deshalb war das der erste Fokus.

Sengl: Und trotzdem wurde gleich die Beteiligung der Polizei an den Interventionsstellen gegen Gewalt eingeschränkt. Das widerspricht doch ihren Aussagen.

Deborah Sengl (li.) ortet eine Tendenz, die Frau an den Herd zurückzudrängen. Juliane Bogner-Strauß streitet ein rückschrittliches türkis-blaues Frauenbild entschieden ab.
Foto: Regine Hendrich

Bogner-Strauß: Aber wir haben auf der anderen Seite vermehrt in die Ausbildung der Polizisten im Bereich Gewaltschutz investiert. Das Zweite ist: Wir haben eine Taskforce Gewaltschutz und Opferschutz eingerichtet.

Sengl: Vielen Initiativen, die nicht direkt mit Gewaltschutz, sondern mit Aufklärungsarbeit zu tun haben, werden dafür die Förderungen gekürzt. Das finde ich schade, weil das Thema nicht erst bei Gewalt beginnt, sondern beim Wissen, welche Rechte man als Frau hat. Nämlich die gleichen.

Bogner-Strauß: Wir haben uns schon sehr genau angeschaut, wo wir wirklich nachhaltige Hilfe für Frauen erzielen. Das soll nicht polemisch klingen, aber wir haben in der Vergangenheit Veranstaltungen gefördert, die drei oder vier Zuschauerinnen hatten. Wenn ich ein beschränktes Budget habe, muss ich mir eben genau überlegen, wo ich investiere.

STANDARD: Wie sehen Sie das Kopftuchverbot für kleine Mädchen in der Sache, Frau Sengl?

Sengl: Ich hoffe, ich zitiere Sie richtig. Sie haben gesagt: Jedes Kopftuch ist eines zu viel.

Bogner-Strauß: Genau.

Sengl: Und ich würde sagen: Jedes Kopftuch weniger wäre ein Fortschritt. Ich finde das Kopftuch problematisch, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die das noch nicht selbst entscheiden können. Mein Ansatz wäre aber ein anderer. Wir sollten den Müttern und den Mädchen mehr von unserer Kultur erzählen, ihnen vermitteln, was wir in unserer westlichen Welt erarbeitet haben. Meine Sorge ist: Wenn wir ihnen sagen, jedes Kopftuch ist eines zu viel, dann kommt es zu einer Diskriminierung, sie ziehen sich zurück und verlieren den Mut, sich aufzulehnen.

Bogner-Strauß: Das Verbot beinhaltet ja, dass man ein Gespräch mit den Eltern im Kindergarten führt. Ich glaube, schon allein so ein Gespräch sorgt dafür, dass da ein Bewusstsein geschaffen wird. Für uns ist es wichtig, den Mädchen ganz früh diese Freiheit einzuräumen, deshalb auch das Kopftuchverbot. Es geht darum, dass Mädchen überhaupt nicht damit aufwachsen und so früh wie möglich integriert werden.

Sengl: Da sind wir uns einig. Es ist halt die Frage der Botschaft, die man vermittelt. Ich bezweifle, dass jemand, dem man so entgegentritt, sich öffnet.

STANDARD: Zurück zur Frage des rückschrittlichen Frauenbildes. Nehmen Sie es allen Regierungskollegen ab, dass sie für ein modernes Frauenbild stehen?

Bogner-Strauß: Alle, mit denen ich beim Frauenthema zusammenarbeite, sind bemüht. Wenn Sie von Rückschritten sprechen, möchte ich gerne wissen, was rückschrittlich sein soll?

Sengl: Bei der Kinderbetreuung gibt es viel zu wenig Plätze. Dadurch wird die Frau zwangsläufig in die Hausfrauenrolle zurückgedrängt. Wie soll sie das sonst organisieren, wenn es keine Orte gibt, die sich um ihre Kinder kümmern? Das müsste viel besser sein.

Bogner-Strauß: "Wir haben in der Vergangenheit Veranstaltungen gefördert, die drei oder vier Zuschauerinnen hatten."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ich werfe noch eine Zahl ein: Die Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen liegt bei 26,1 Prozent. Das ist dramatisch wenig.

Bogner-Strauß: Deshalb sagen wir auch: Das Budget wird vor allem für unter Dreijährige und für die Flexibilisierung der Öffnungszeiten ausgegeben. Wir müssen der Bevölkerung aber auch sagen, wie viel ein Betreuungsplatz kostet. Ich war gerade bei einer Einrichtung in Vorarlberg. 25 Kinder waren für den Sommerkindergarten angemeldet, nur acht waren da. Ein Platz kostet 7000 Euro pro Jahr, egal ob das Kind kommt oder nicht. Da müssen wir mehr Bewusstsein schaffen und fragen: Wird dieser Platz wirklich gebraucht?

STANDARD: Also darf der Kindergarten etwas kosten? In Oberösterreich ist nach der Einführung von Gebühren die Zahl der Anmeldungen um 20 Prozent zurückgegangen.

Bogner-Strauß: Es gibt noch keine validen Daten für Oberösterreich. Ich finde aber schon, dass der Kindergarten, abhängig davon, wie viel man verdient, ein bisschen etwas kosten darf.

Sengl: Sie hinterfragen den Sinn, wenn eine Einrichtung nicht ausreichend besucht ist. Aber ist das der richtige Ansatz? Vielleicht wäre es wichtiger, das Angebot besser zu kommunizieren. Wir bräuchten Veranstaltungen, damit sich Frauen informieren können, welche Freiheiten sie haben.

STANDARD: Ein gutes Angebot schafft auch Nachfrage. Man könnte auch, wie in Deutschland, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz einführen.

Bogner-Strauß: Die Deutschen haben einen Rechtsanspruch, aber die Plätze nicht. Ich möchte zuerst die Plätze geschaffen wissen und dann einen Rechtsanspruch. Aber ich gebe Frau Sengl recht. Nichts ist für Frauen bei einer Scheidungsrate von 45 Prozent wichtiger als wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ich war wirklich erschrocken über die Zahlen. 75 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten Teilzeit. Wir müssen diesen Frauen sagen: Überlegt euch die Folgen, ihr werdet wenig Pension haben und in Altersarmut landen.

Sengl: Das kann ich zu 100 Prozent unterschreiben. Für mich war es immer normal, eine starke, autonome Frau zu sein. Das wurde mir mitgegeben. Das habe ich im Blut. Aber ich habe erst spät begriffen, dass ich da einer Minderheit angehöre. Wenn ich in Talkshows sehe, welche Meinungen da zum Teil vertreten werden, stellt es mir die Haare auf. Da sitzen 20-Jährige und sagen, sie wollen nur einen Mann, der sie erhält, damit sie Kinder bekommen können.

Bogner-Strauß: Diesen Retroansatz beobachte ich auch. Das könnte auch daher rühren, dass viele junge Frauen nur gesehen haben, wie die Eltern immer nur arbeiten müssen. Dem müssen wir entgegenwirken. Wir müssen den jungen Mädchen sagen: Mehr Frauen machen heute Matura, mehr Frauen machen heute Masterabschlüsse. Sie sind so gestärkt, es hat sich so viel geändert. Das müssen sie nutzen im Job. Der Gender-Pay-Gap geht ja erst mit dem ersten Kind richtig auf.

Bogner-Strauß: "Ich finde schon, dass der Kindergarten, abhängig davon, wie viel man verdient, ein bisschen etwas kosten darf."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Um die Lohnunterschiede zu verringern, haben Sie zuletzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Was soll die erarbeiten? Das Thema diskutieren wir ja schon 100 Jahre.

Bogner-Strauß: Genau seit 100 Jahren, Sie haben recht. Die Arbeitsgruppe mit Sozialpartnern und Expertinnen hat das Ziel, die verschiedenen Einkommensberichte der öffentlichen Hand zu vereinheitlichen. Ein anderes Thema sind die Einkommensberichte in Unternehmen: Firmen mit mehr als 150 Mitarbeitern müssen Einkommensberichte erstellen. Da könnte man andenken, das auf kleinere Firmen auszudehnen. Vor allem müssen wir aber mehr Bewusstsein schaffen: 75 Prozent der Frauen wissen nicht einmal, dass es solche Einkommensberichte gibt.

Sengl: Man kann nicht früh genug beginnen, Frauen das Bewusstsein einzuimpfen, dass sie ein Recht auch gleiches Gehalt wie Männer haben. Da bräuchten wir aber mehr Initiativen und nicht Kürzungen bei Fraueninitiativen.

STANDARD: Welche feministische Botschaft transportiert Außenministerin Karin Kneissl mit ihrem Knicks bei ihrer Hochzeit vor Wladimir Putin?

Bogner-Strauß: Das kommentiere ich nicht. Wenn Sie jetzt einen Kopfstand machen, würde ich das auch nicht kommentieren, weil es vielleicht eine Yogaübung ist.

STANDARD: Wenn ich einen Kopfstand mache, hat das aber keine außenpolitischen Implikationen.

Bogner-Strauß: Ich gehöre zu den Menschen, die nicht werten. Es wurde alles über die Hochzeitsfeier gesagt. Gamlitz, meine Heimatgemeinde, hat jetzt ungemeine Bekanntheit erlangt.

Sengl: Ich habe mich einfach nur geschämt. Eigentlich habe ich nicht aufgehört, den Kopf zu schütteln. Sie ist ja keine Schauspielerin, sondern Außenministerin dieses Landes. Einen nicht unproblematischen Politiker wie Putin einzuladen ist ein Statement. Wenn sie nicht bedacht hat, was sie damit aussagt, dann muss ich ehrlich gesagt an ihrer Intelligenz zweifeln. (Günther Oswald, 25.8.2018)