Mit einem Kreuz ist es diesmal bei den Wiener Grünen nicht getan: Anstatt nur ihre Erstpräferenz anzukreuzen, können Wähler bei IRV alle Kandidaten reihen.

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Wien – Als erste Partei oder politische Institution in Österreich verwenden die Wiener Grünen Instant-Runoff Voting (IRV) bei der Kür ihrer Spitzenkandidatur. IRV dient der Auswahl einer Person aus einem Feld von drei oder mehr Kandidaten. Das australische Abgeordnetenhaus und die irische Präsidentschaft, aber auch die Oscars für den besten Film werden per IRV bestimmt.

Anstatt einfach nur ihre Erstpräferenz anzukreuzen, können Wähler bei IRV alle Kandidaten reihen. Wer auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Erstpräferenzen erlangt, gewinnt. Wenn das niemand erreicht, wird zuerst der Kandidat mit den wenigsten Erstpräferenzen eliminiert. Diese Stimmen werden den jeweils angegebenen Zweitpräferenzen zugeschlagen. Das wiederholt sich, bis eine Person mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erreicht.

IRV erlaubt es Wählern, ihre gesamte Präferenzordnung anzugeben, und bietet Kandidaten daher Anreize, die Wählerschaft möglichst breit anzusprechen. Immerhin ist es bei IRV-Wahlen auch wichtig, für möglichst viele Wähler mit anderen Erstpräferenz die zweite oder dritte Wahl zu sein. Eine Studie aus den USA zeigt demnach auch, dass Wahlkämpfe mit Rangfolgensystemen à la IRV als deutlich weniger negativ wahrgenommen werden.

Ein weiterer Vorteil von IRV ist, dass es in einem Wahlgang erledigt, wofür ein Stichwahlsystem zwei braucht. Wer gleich die Präferenzordnung der Wähler über alle Kandidaten abfragt, braucht die Wähler nicht zweimal zur Urne zu bitten.

Instant-Runoff-Voting hat auch Tücken

IRV hat aber auch Tücken. Es verletzt etwa (wie auch das Stichwahlsystem) das so genannte Monotoniekriterium. Dieses besagt, dass ein Kandidat nicht vom Sieger zum Verlierer werden darf, wenn er von einem Teil der Wählerschaft höher gereiht wird. Genauso wenig darf ein Verlierer zum Sieger werden, wenn er von manchen Wählern niedriger gereiht wird.

Stellen wir uns eine Wahl mit drei Kandidatinnen (A, B und C) und 100 Wählern mit folgenden Präferenzen vor:

  • 38 Personen wählen A > B > C (d. h. A an erster, B an zweiter und C an dritter Stelle)
  • 32 Personen wählen C > A > B
  • 30 Personen wählen B > C > A.

Kandidatin B hat die wenigsten Erstpräferenzen (30) und scheidet aus. Da alle Personen, die B erstgereiht hatten, C gegenüber A präferieren, gehen diese 30 Stimmen an die Zweitpräferenz C, die mit einem Endstand von 62 zu 38 Stimmen gegen A gewinnt.

Was aber, wenn ein Teil der Wählerschaft plötzlich einen Sinneswandel in Bezug auf Kandidatin C hat, und neun Personen statt A > B > C nun C > A > B als Reihung angeben? Damit ergibt sich folgendes Szenario:

  • Nurmehr 29 Personen wählen jetzt A > B > C
  • Dafür stimmen 41 Personen für C > A > B
  • 30 Personen bleiben bei B > C > A

Diesmal wird zuerst A eliminiert (29 Erstpräferenzen sind weniger als die 30 von B bzw. die 41 von C). Auf diesen 29 Stimmzetteln steht aber B als Zweitpräferenz. Kandidatin B gewinnt nach Transfer dieser 29 Stimmen mit 59 zu 41 gegen C.

Das Paradoxe ist also, dass ein Zuwachs an Zustimmung für C (neun Personen mehr reihen C in Szenario 2 an erster statt an dritter Stelle) bewirkt, dass statt C plötzlich B gewinnt. Natürlich ist dieses Beispiel konstruiert, aber diese Untersuchung aus dem Jahr 2014 zeigt, dass bei kompetitiven Wahlen in bis zu 30 Prozent aller Szenarien solche Paradoxien auftreten können.

Für die interessierten Beobachter bleibt also zu hoffen, dass die Wiener Grünen in der Wahlauswertung so transparent sein werden, dass etwaige Anomalien im Nachhinein erkannt werden können. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 5.9.2018)