Ob es mir jetzt leid täte, fragte eine Kollegin, als ich Mitte letzter Woche mehr kroch als ging. Denn: Das sähe eher schmerzhaft aus – und nicht sooo gesund.

Die Kollegin ist eine Nette. Alles andere als doof oder irgnorant. Aber so wie ich nicht verstehe, wieso sie bei Designer-Sales auf der "ich darf zuerst shoppen"-Liste stehen muss, aber nix trägt, was es auch im Outletcenter geben könnte, ist für sie nicht nachvollziehbar, dass ich nach einem Stunt wie dem in Schweden am Zahnfleisch durch die Redaktion krabble – und trotzdem glücklich bin. Und ihre Frage nur dazu nutze, um mein bissi Schulfranzösisch zu strapazieren: "Non, je ne regrette rien."

Foto: thomas rottenberg

Nein, ich bin kein "tough cookie". Auch kein "harter Hund". Oder sonstwas. Aber manchmal muss man eben entscheiden, ob man bereit ist, den Preis für etwas zu zahlen: Vom "Icebug Xperience Westcoast Trail" habe ich letzte Woche erzählt. Davon, dass das eine mehr als traumhafte Laufreise war, die ich sofort nochmal machen würde. Davon dass ich das, wenn es irgendwie geht, nächstes Jahr auch tun werde, auch. Egal ob, wie in meinem Fall heuer, vom Veranstalter eingeladen oder selbst und voll bezahlt. Die drei Tage waren heftig – aber wunderschön.

Am Rande der Geschichte von letzter Woche erwähnte ich in einem Halbsatz eine blöd gehobene Übersiedlungskiste vom Tag vor dem Flug nach Göteborg: Wegen einer kleinen Zerrung oder Überdehnung sagt man so einen Trip nicht ab. Und tatsächlich spürte ich den Verheber schon zwei Minuten nach dem kurzen Stich in der Leiste eh nicht mehr. Erst nach dem ersten Lauftag meldete sich der Schmerz. Zunächst eh nur ein bisserl.

Foto: thomas rottenberg

Am nächsten Tag, in der Früh, beschloss ich, mit Schmerzen zu starten – aber sofort abzubrechen, wenn es nicht besser würde. Genau aus diesem Grund nehme ich grundsätzlich keine Schmerzmittel vor oder beim Sport: das Regulativ ist wichtig. Sobald ich warm war, war alles gut. Der Schmerz in der Leiste kam erst am späten Nachmittag. Also lief ich – eh klar – auch am dritten Tag. Wissend, was danach passieren würde. Ich bereue nichts, beklage mich nicht und jammere auch nicht: Das Lauf- und Landschaftserlebnis war es wert. Ich würde es beim nächsten Mal genau so wieder machen.

Einzig beim Übersiedeln am Montag und Dienstag würde ich bei schweren Trümmern vielleicht leiser treten.

Foto: thomas rottenberg

Fakt ist aber, dass ich am Mittwoch kaum kriechen konnte – und am Donnerstag von Reinhard Schmidt, dem Unfallchirurgen der Sportordination absolutes Laufverbot verordnet bekam, solange da nur eine Spur von "Aua" in Leiste, Hüfte und ISG-Gelenk sei – oder bis er Röntgen- und MRT-Befunde habe: "Du hast Dir mit der Kiste höchstens einen minimalen Muskelfaserriss oder eine kleine Zerrung geholt – aber dir mit der permanenten Ausweichbewegung beim unrhythmischen Laufen über die Felsen eine andere Verletzung oder Überlastung eingehandelt. Das muss man abklären: Radfahren und Schwimmen: Ja. Laufen: Nein." Kein Vorwurf – nur die Feststellung. Das ist das Gute an Sportärzten, die selbst Sport machen: Sie wissen, dass Zeigefingerfuchteln nix bringt.

Foto: thomas rottenberg

Nichtlaufendürfen (und Nichtlaufenkönnen) ist natürlich blöd. Weil ich am Wochenende sonst vielleicht doch spontan beim Vienna Triathlon gestartet wäre. Oder bei den Roten Nasen. Oder zumindest beim kleinen Show-Blind-Lauf für die Licht-für-Die-Welt-Charitytickets im Stadtpark mitgemacht hätte: Dorthin hatte die NGO eingeladen, um darauf hinzuweisen, dass man beim "Vienna Nightrun" das Startgeld auch zweckgebunden widmen kann. Auch und gerade weil dieser vom neuen "Besitzer" des Laufes vor ein oder zwei Jahren eingeführte Modus (früher ging automatisch ein Teil der Gelder an die Charityorganisation) hinterfragenswert ist, ist der Hinweis auf die Widmungs- und Spendenmöglichkeit umso wichtiger.

Dass sich von den geladenen VIPs kaum einer traute (im Bild: TV-Fitnesscoach Roman Daucher) tatsächlich mit verbundenen Augen zu laufen, werfe ich niemandem vor: Um als Begleitläufer zu wissen, wie Laufen "an der Leine" sich anfühlt, habe ich das ein paar Mal geübt: 100 Meter im Schneckentempo waren beim ersten Mal wie Kilometer auf Maximalspeed.

Foto: Thomas Meyer

Darüberhinaus schafft die Pause Platz, auf das "Bewegung > Stillstand"-Charitypaket hinzuweisen, das Michael Buchleitner heuer gemeinsam mit der Caritas beim Wachau-Marathon ausgearbeitet hat: Beim Start abgeworfene Pullis, Jacken und andere Kleidungsstücke kommen heuer erstmals nicht in den Müll, sondern werden von Freiwilligen eingesammelt und im "Carla Krems", dem Second-Hand-Laden der Caritas, gewaschen und verkauft: Sollte ich übernächste Woche laufen können, werde ich am Start "overdressed" sein. Sollte ich nicht laufen, werde ich einsammeln.

Außerdem werde ich mir drei Kilometer vor dem Ziel Zeit nehmen, die "Charity-Bell" zu läuten: Für jedes Bimmeln spendet der Hardware-Hersteller (Salomon) einen Euro. Da kommt sicher auch was zusammen.

Und auf der Expo gibt es eine Weintasche mit Wachaumarathon-Logo und anderes Kleinzeug aus der Caritas-Tagesstätte in Paudorf.

(Kleine Quasi-Compliance.Anmerkung: Der Mann neben Buchleitner ist Christoph Riedl-Daser, der Leiter des Bereichs Solidarität, Kommunikation & Soziales bei der Caritas der Diözese St. Pölten. Er hat mit Buchleitner dieses Paket ausgearbeitet. Falls es jemanden irritiert, dass ich hier die Arbeit eines meiner besten Freunde feature: Leben Sie damit.)

Foto: fairplayfoto.net

Ein bisserl ambivalenter stehe ich dem Charity-Gedanken einer anderen Veranstaltung gegenüber: Der "Muddy Angel Run" ist ein softes Obstacle-Race-Format, das in Deutschland sehr erfolgreich als Serie läuft – und sich ausschließlich an Frauen richtet. In Fünferteams gilt es, auf einem 5 Kilometer langen Kurs Hindernisse und Aufgaben zu bewältigen, die Großteils mit dem Themenkreis "nass & dreckig" verknüpft sind. Das ist – unumstritten – ziemlich lustig. Zusätzlich erlaubt es schöne Assoziationen. Etwa die, dass auch Krebs "dreckig" kämpft – und die "Muddy Angels" deshalb Geld und Aufmerksamkeit für Brustkrebprophylaxe und -hilfsgruppen generieren wollen.

Klingt gut, wird noch besser kommuniziert – wirkt aber bei Ticketpreisen bis zu etwa 50 Euro und einem Euro, der an Hilfsorgansiationen geht, doch ein bisserl nach mauer Alibiansage. Das sehen auch Teilnehmerinnen des Wiener Laufes in einem Video auf derstandard.at.

Foto: thomas rottenberg

In Wien fand der rosa Schlammlauf heuer zum ersten Mal statt. Angeblich waren etwa 5.000 Frauen und Mädchen auf der kurzen Runde von der Trabrennbahn Krieau zur Hauptallee dabei. Ganz offensichtlich hatten sie mehr als nur ein bisserl Spaß.

Trotzdem war ich, als ich beim Radtraining (das darf ich ja) am Samstagmittag eher zufällig vorbei kam, reichlich überrascht, wie wenige Zuseher da an der Hauptallee standen: Exakt gar keine nämlich – obwohl gerade hier Publikum unterwegs ist, das sich für Laufveranstaltungen begeistern kann.

Die deutsche Serie dürfte sich aber dennoch rechnen: Für 2019 stehen bereits etwa 15 Läufe auf der Muddy-Angels-Homepage. Wien ist auch dabei.

Foto: thomas rottenberg

Den unangefochtenen Höhepunkt dieser Nicht-Lauf-Woche lieferte aber mein Coach. Denn Harald Fritz war mit ein paar Freunden nach Frankreich gefahren, um dort am "Marathon du Médoc" teilzunehmen.

Und bevor ich jetzt irgendetwas über diesen Lauf, der in Pauillac seit 1985 von Schloss zu Schloss und von Weingut zu Weingut führt, erzähle, sage ich nur, was Fritz auf seiner Facebookseite zu diesem Bild schrieb: "Austern bei Kilometer 39. So muss Marathon…"

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Der "Médoc" ist natürlich ein "echter" Marathon. Also 42,2 Kilometer lang. Mit einem Start, einem Ziel und einer Maximalzeit, die man brauchen darf, um diese beiden Punkt miteinander zu verbinden.

Allerdings legt es hier kaum jemand darauf an, die Strecke in weniger als der Hälfte der erlaubten sechseinhalb Stunden zu absolvieren.

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Schließlich sind die Labungsstationen hier meist ident mit Weinverkostungen und Degustationen anderer Leckereien oder führen an Schlössern vorbei und durch Landschaften, die man eher mit Mantel-und-Degen-Filmen als mit Laufen assoziiert: Wer da wirklich mit Vollgas durchzieht, hat irgendwas falsch verstanden.

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Aber diese Gefahr besteht hier ohnedies nicht, erzählte Harald: Während Wikipedia fast schüchtern schreibt, dass "zahlreiche Teilnehmer während des Laufes ausgefallene Kostümierungen" tragen, stellte mein Trainer trocken fest: "Wenn du hier auffallen willst, läufst du ohne Verkleidung im normalen Laufoutfit."

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Und einfach "nur ein bisserl kostümiert" tut es hier längst nicht: "Da waren ganze Teams, die Wägen voller Zuckerln, Wickingerboote oder nachgebaute Straßenwalzen geschoben und gezogen haben", staunte mein Coach. In den Videos auf der Veranstalterseite ist auch eine gut zweieinhalb Meter hohe Badeente zu sehen.

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Von der sprach Fritz allerdings nicht. Vermutlich wollte er sich die Nachrede, blunzenfett halluziniert zu haben, ersparen– auf den Fotos, die er schickte war sie dann aber doch auch zu sehen.

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Wein und Laufen, erklärte der Sportwissenschafter, passen allem Anschein nach doch zusammen. In dieser Dimension habe ihn das überrascht: "Wir haben an jeder Verkostungsstation Halt gemacht – aber ich habe auf der ganzen Strecke keinen einzigen Betrunkenen gesehen und auch selbst nichts gespürt: Vermutlich verbrennt man das alles sofort, wenn man während des Laufens nippt."

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Und auch wenn das alles nach Megajux klingt und tatsächlich ein enormer Spaß gewesen sein dürfte, muss schon auch klar sein, dass es sich um einen echten Marathon handelt: Sogar wenn man (was niemand tut) die 42 Kilometer an den Weingütern Lafite-Rothschild, Latour und Mouton-Rothschild vorbei nur wandern würde, wären es immer noch 42 Kilometer an einem Tag. Das ist nicht nix. "Obwohl keiner von uns nach dem Lauf oder am nächsten Tag irgendwas gespürt hat."

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at

Der einzige Haken am Médoc-Lauf ist das Überhaupt-Teilnehmen können: Im Vorjahr kamen rund 5.500 Finisher ins Ziel (knapp 2.500 davon waren übrigens Frauen). Auch in anderen Jahren sind es kaum viel mehr als 7.000: Das Groß der Startplätze kommt nur im Inland auf den Markt oder wird über handverlesene Laufreisebüros vertrieben: Der österreichische Lauf-Reise-Veranstalter Andreas Perer etwa brachte heuer 22 Läuferinnen und Läufer nach Frankreich – Harald Fritz und seine Freunde hatten sich den Trip & den Start allerdings selbst organisiert.

Aber wie fast immer (nicht nur beim Laufen) gilt: Wer will, findet Wege – erst recht, wenn einem der Spaß den Einsatz, die Mühe, die Zeit und die Kosten Wert ist. Das muss und wird nicht jeder verstehen – aber darauf kommt es zum Glück ja nicht an.

Und damit wäre ich – beinahe – wieder am Anfang dieser Geschichte angekommen.

(Thomas Rottenberg, 12.9.2018)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme am Icebug Xperience Westcoast Trail war eine Einladung von Icebug

Weiterlesen:

Muddy Angel Run: Schlammlauf gegen Brustkrebs

In Schweden laufen: Icebug Xperience West Coast Trail

Foto: Harald Fritz/Ausdauercoach.at