Der Anteil der Freiheitsstrafen ist laut einer aktuellen Auswertung in den vergangenen zehn Jahren von 59 auf 65 Prozent gestiegen.

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St. Gilgen – Der Kriminologe und Sanktionen-Forscher Christian Grafl hält nicht viel davon, die Strafen für Gewalt- und Sexualdelikte nach dem am 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz – wie von der Bundesregierung geplant – erneut zu verschärfen. Das sei "aus empirischer und kriminologischer Sicht unsinnig", meinte Grafl auf einem Seminar der Fachgruppe Strafrecht der Richtervereinigung in St. Gilgen.

"Veränderungen der Strafenpraxis nach Reformen sollten langfristig beobachtet werden, um Zufallsschwankungen ausschließen zu können", gab der Experte am Mittwochabend zu bedenken. Es sei "Unfug, wenn man eineinhalb bis zwei Jahre später wieder am Rädchen dreht".

Tendenz zu strengeren Strafen

Mit der Umsetzung des Regierungsvorhabens, rigider gegen Gewalt- und Sexualstraftäter vorzugehen, ist eine Task Force unter Federführung der im Innenministerium angesiedelten Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) betraut. In deren Auftrag hat Grafl, der am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien lehrt, die Strafpraxis der Gerichte zwischen 2008 und 2017 analysiert.

Das Ergebnis: in den vergangenen zehn Jahren ist eine Tendenz zu strenger werdenden Strafen festzustellen. Während sich in diesem Zeitraum der Anteil an Geldstrafen von 37 auf 28 Prozent reduziert hat, ist der Anteil der Freiheitsstrafen von 59 auf 65 Prozent gestiegen. Auffallend ist dabei die Zunahme von unbedingten Geldstrafen und teilbedingten Freiheitsstrafen.

Was die einzelnen Deliktsgruppen betrifft, ist bei schwerer Körperverletzung und absichtlicher schwerer Körperverletzung eine deutliche Anhebung der Strafen nachweisbar. Das dürfte laut Grafl auf das jüngste Strafrechtsänderungsgesetz zurückzuführen sein: "Die Praxis reagiert auf Gesetzesänderungen. In diesem Fall ziemlich unmittelbar." Zugleich betonte der Kriminologe: "Daraus ergibt sich nicht, dass es dringend notwendig ist, die vorgesehenen Höchststrafen zu erhöhen." Statistisch gesehen kämen die Richter nämlich "sehr gut" mit den aktuellen Strafrahmen aus.

Gegen Anhebung der Mindeststrafen

Grafl sprach sich vor der versammelten Richterschaft auch gegen eine Anhebung der Mindeststrafen aus: "Die breiten und weiten Strafdrohungen, die wir in Österreich haben, sollten wir schätzen, weil Sie die Möglichkeit haben, auf Einzelfälle zu reagieren."

Forderungen, dass es bei Vergewaltigungen generell keine bedingten Freiheitsstrafen mehr geben dürfe, erteilte der Wissenschafter eine klare Absage. Er wertete dieses Ansinnen als "Misstrauen gegen die Richterschaft". Bisher unbescholtene erwachsene Vergewaltiger fassen als Ersttäter hierzulande schon jetzt in über 80 Prozent der Fälle Haft aus. Bei absichtlicher schwerer Körperverletzung werden bei jedem fünften nicht vorbestraften männlichen Erwachsenen unbedingte Freiheitsstrafen verhängt. (APA, 27.9.2018)