"Das, was man gerade tut, bewusst zu tun, und nicht nebenher drei andere Dinge, entspannt enorm. Und erhöht sowohl die Qualität der Arbeit als auch die der zwischenmenschlichen Kommunikation", sagt Markus Albers.

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Das menschliche Gehirn ist nachweislich nicht zum Multitasking geschaffen. Genau dazu verleiten aber Computer, Smartphones und Co.

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Vor acht Jahren propagierte er noch die Möglichkeiten moderner Technologie, kürzlich brachte Markus Albers ein neues Buch heraus: "Digitale Erschöpfung". Darin widmet sich der deutsche Journalist und Unternehmer den Schattenseiten des Neuen Arbeitens. Er beschreibt, wie das Smartphone sein Leben bestimmt. Wie selbst seine kleine Tochter Milla ihn ständig dazu auffordert, es endlich wegzulegen. "Früher waren wir 'chained to desk', also: an den Schreibtisch gekettet. Und nun sehe ich mit Grausen, dass wir sie durch eine neue, flexiblere, aber zugleich unnachgiebigere Kette ersetzen: Wir sind 'chained to screen', und das ist auch kein besseres Leben", sagt Albers. Er sucht nach einem Ausweg – experimentiert mit Apps, "Dump Phones", Not-to-do-Listen und Achtsamkeit. Unsere Interviewanfrage hat den Autor während seines Urlaubs erreicht. Er antwortete am selben Tag – mit der Bitte, ihn nach seiner Rückkehr erneut zu erinnern.

STANDARD: Sie waren gerade im Urlaub. Haben Sie sich gut erholt?

Albers: Sehr. Obwohl ich niemand bin, der gar nicht in seine Mails schaut. Zurückzukommen und erst einmal hunderte Mails beantworten zu müssen würde mich noch mehr stressen. Alle drei, vier Tage schaue ich, ob etwas Dringendes dabei ist.

STANDARD: Ist das der goldene Mittelweg, den Sie für sich gefunden haben?

Albers: Genau. Was aber wichtig war, Kunden und Kollegen klar zu sagen: Wenn ihr mir im Urlaub eine Mail schickt, ist das zur Kenntnisnahme. Geht bitte nicht davon aus, dass ich sie gleich lese. Wenn es dringend ist, soll man mir eine SMS oder Whatsapp-Nachricht schicken. Anrufe bitte nur, wenn die Welt untergeht.

STANDARD: Sie schreiben, dass ein Zwang durch einen anderen ersetzt wurde: die Präsenzkultur durch die ständige Erreichbarkeit. Sind wir noch nicht fähig, mit der neuen Freiheit umzugehen?

Albers: Dass das nur eine Phase ist, ist meine Hoffnung. Wir stehen ganz am Anfang der Entwicklung zu "New Work". Momentan haben wir das Schlechteste aus beiden Welten: einerseits die Möglichkeit, auf dem Balkon, dem Café, auf dem Strand zu arbeiten – das gibt mehr Kontrolle über die eigene Zeit, man ist glücklicher, produktiver, kreativer; andererseits ist da noch der Druck zu zeigen, dass man auch wirklich arbeitet – weshalb wir noch um elf Uhr abends unsere E-Mails beantworten. Das macht kaputt.

STANDARD: Was genau macht "always on" so gefährlich?

Albers: Die Arbeit verfolgt uns bis in den letzten Lebensbereich. Immer erreichbar zu sein macht krank. Die Zahl der Menschen, die gestresst sind, Schlafprobleme haben, steigt. Aber eine noch viel wichtigere Frage ist für mich: Wollen wir wirklich so leben? Wollen wir ein Leben haben, in dem uns das Digitale ständig begleitet? In dem immer etwas dabei ist, das piepst, das blinkt? Wollen wir immer abgelenkt sein?

STANDARD: Ist das Dopamin schuld, das bei jeder neuen Nachricht ausgeschüttet wird? Oder halten wir keine Langeweile mehr aus?

Albers: Da haben Sie wichtige Punkte angesprochen. Handynutzung ist ganz klar ein Suchtverhalten. Belohnungssysteme im Gehirn werden getriggert, man fühlt sich wichtig. Und ja, Nichtstun empfinden wir als unangenehm. Bei einer Studie der University of Virginia sagten Probanden, dass sie sich lieber selbst Stromschläge geben würden, als 15 Minuten nur still dazusitzen. Früher gab es Situationen, in denen wir nichts getan haben – etwa beim Warten auf den Bus. Die sind uns komplett abhandengekommen. Das hat Folgen für die Aufmerksamkeit.

STANDARD: Es gibt erste Theorien, die sagen: Das Gehirn passt sich an die Nutzung der Technologien an.

Albers: Der Mensch hat bisher noch jede technologische Revolution überstanden. Ich glaube aber: Wir müssen sie bewusst gestalten. Die Jugend tut das bereits. Ein Trend heißt "Stacking". Man trifft sich im Café, legt alle Handys auf einen Stapel und redet miteinander. Wer doch rangeht, muss die Runde bezahlen.

STANDARD: Immer nur eine Sache zu einer Zeit tun ist auch eine Strategie, die Sie für sich entdeckt haben. Wie gut halten Sie das durch?

Albers: Nicht immer, das wäre auch unmenschlich. Aber mein Leben ist durch den Vorsatz schon dramatisch besser geworden. Das, was man gerade tut, bewusst zu tun, und nicht nebenher drei andere Dinge, entspannt enorm. Und erhöht sowohl die Qualität der Arbeit als auch die der zwischenmenschlichen Kommunikation.

STANDARD: Angebrochen ist die Zeit der sprachgesteuerten Systeme und Datenbrillen. Helfen sie uns, weniger bildschirmfixiert zu sein?

Albers: Konkrete Prognosen will ich nicht geben. Ich denke aber schon, dass wir in zehn Jahren alte Fotos anschauen und sagen werden: Ach ja, das war die Zeit, als wir alle auf kleine Bildschirme gestarrt haben! Diese Technologien könnten uns helfen, wieder mehr von der Umwelt wahrzunehmen. Sie bergen aber auch Gefahren.

STANDARD: Zum Beispiel?

Albers: Meine Befürchtung: dass wir den permanenten digitalen Schleier über unserem Leben haben, wenn wir, wie im Film Her, ständig mit einem digitalen Assistenten sprechen. Wenn man sich ansieht, woran die großen Firmen arbeiten, spricht alles dafür. Ich plädiere dafür, davor eine gesellschaftliche Debatte zu führen, wie wir damit umgehen, wie wir leben wollen. (Lisa Breit, 20.11.2018)