Der Plan, Arbeitslose mittels eines Softwareprogramms in Personen mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen einzuteilen, regt auf.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Einführung eines Algorithmus zur Beurteilung der Chancen von Jobsuchenden durch das Arbeitsmarktservice (AMS) hat unter Ökonomen und Soziologen eine breite Diskussion ausgelöst. Wie berichtet, will das AMS ab dem kommenden Jahr ein EDV-System flächendeckend austesten: Das Programm wird alle Arbeitslosen in drei Kategorien einteilen – jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen am Jobmarkt. Die AMS-Berater bekommen 2019 zunächst nur die Information, wie das Programm die Perspektiven der Menschen einschätzt. Weitere Konsequenten sind damit noch nicht verbunden. Läuft alles nach Plan, dann könnte es ab 2020 für die drei Kategorien der Jobsuchenden unterschiedliche Förderangebote geben.

Aktuell experimentiert das Arbeitsmarktservice mit neuen Betreuungsangeboten – und zwar für die Gruppe arbeitsmarktferner Personen, definiert als Menschen, die bereits länger als zwei Jahre arbeitslos sind. Dabei geht es darum, herauszufinden, ob in dieser Gruppe niederschwellige Angebote eine ähnliche Wirkung haben wie teurere AMS-Förderprogramme, etwa Facharbeiterintensivausbildungen. Das AMS bietet im Rahmen der Versuche primär Sozialtreffpunkte, Coaching für Selbstvertrauen, Sprachtrainings und EDV-Grundkurse an.

Mögliche Adaption 2020

Ab 2020 könnten mit den Erfahrungen aus diesen Versuchen und unter Nutzung des Algorithmus die Angebote an Arbeitslose adaptiert werden. Bei Personen mit guten Chancen am Arbeitsmarkt geht das AMS davon aus, dass weniger Interventionsbedarf besteht, weil sich diese Gruppe selbst helfen kann. Bei Menschen mit mittlerer Perspektive am Jobmarkt könnten die Förderungen dagegen konzentriert werden, weil man sich hier die größte Wirkung von Programmen erhofft. Das AMS würde damit im Idealfall für jeden ausgegebenen Euro mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt vermitteln und so den eigenen Output steigern.

Bei Menschen, die vom Algorithmus in die Gruppe mit schlechter Perspektive eingeteilt werden, könnten in Zukunft primär die erwähnten niederschwelligen Angebote zum Zug kommen. Auch das würde dem AMS eine Ersparnis bringen. Experten beurteilen die Konzeption differenziert, sehen Für und Wider.

Dass neue Dinge erprobt werden, sei begrüßenswert, sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo.

System in anderen Ländern bereits etabliert

Profiling-Systeme, wie das AMS sie nun anwenden will, seien in vielen anderen europäischen Ländern bereits etabliert. Meistens diene das Profiling aber nur dazu, im frühen Stadium die Gefahr von Langzeitarbeitslosigkeit zu erkennen, um dann mit Maßnahmen rasch intervenieren zu können. "Das AMS dagegen will die Einteilung der Jobsuchenden in drei Segmente dauerhaft vornehmen."

Auch das hält Mahringer noch nicht für problematisch. Allerdings sieht er Vorsicht dabei geboten, Maßnahmen für Langzeitarbeitslose als weitgehend ineffizient einzustufen. Mahringer warnt vor einem "Trugschluss": Das Gesamtergebnis einer Intervention am Arbeitsmarkt dürfe nicht mit dessen Wirkung verwechselt werden. Denn es greife zu kurz, den Erfolg einer Maßnahme daran zu messen, wie viele Personen anschließend vermittelt wurden. Damit würde übersehen, dass ein gewisser Anteil auch ohne Förderung in Beschäftigung gewechselt wäre, so Mahringer.

Intensive Fördermaßnahmen bei besonders arbeitsmarktfernen Personen führen laut dem Wifo-Ökonomen häufig zu deutlich mehr Beschäftigung, als dies ohne diese Maßnahmen zu erwarten gewesen wäre. Wirkungsanalysen für eine Reihe von Maßnahmen würden für Langzeitarbeitslose sogar bessere Wirkung zeigen als für andere Arbeitslose. "Das AMS sollte daher auch in Zukunft nicht allein auf den Outcome achten, sondern muss die kausale Wirkung konkreter Programme auch in einem neuen Betreuungssystem ab 2020 adäquat berücksichtigen", so Mahringer.

Mitnahmeeffekte

Die Arbeitsmarktexpertin beim Institut für Höhere Studien, Gerlinde Titelbach, argumentiert hier ähnlich. Wenn die Förderungen auf das mittlere Segment konzentriert werden, wird es dort "Mitnahmeeffekte" geben, sprich: "Unternehmen und Arbeitssuchende werden von aktiver Arbeitsmarktpolitik profitieren, obwohl diese auch ohne zusätzliche Mittel zueinander gefunden hätten." Die Soziologin weiter: "Es stellt sich auch die Frage, inwieweit das Ziel der sozialen Inklusion erfüllt ist, wenn Menschen, die arbeitsmarktfern sind, weniger Angebote bekommen, und ob sich für diese Personen durch ein Screening-Tool die unvorteilhafte Situation am Arbeitsmarkt nicht verstärkt."

AMS-Chef Johannes Kopf betont, dass es keinesfalls darum gehe, arbeitsmarktferne Personen künftig auf ein Abstellgleis zu stellen. Im Gegenteil: Durch einen besseren Einsatz der Mittel und für die Bedürfnisse der Gruppe abgestimmte Angebote könne man sogar mehr erreichen. Er sagt außerdem, dass man den Algorithmus 2019 erst einmal genau deshalb testet, um zu sehen, was funktioniert und was nicht.

Dutzende Chancenkriterien

Die AMS-Software wird die Chancen einzelner Betroffenen anhand dutzender Kriterien evaluieren. Der größte Teil dieses Prozesses läuft automatisiert ab: Meldet sich jemand arbeitslos, greift das AMS auf die Sozialversicherungsdaten zu und bei Bedarf auch auf Informationen aus dem Melderegister. Dadurch bekommt der Algorithmus Informationen über den beruflichen Werdegang des Arbeitslosen, über das Alter, die Staatsbürgerschaft, die Ausbildung und frühere Dienstzeiten. Daneben sollen die AMS-Betreuer einige Daten weiter manuell erheben. Das sind etwa Informationen über gesundheitliche Einschränkungen. Die AMS-Berater sollen Veränderungen bei der Einteilung der Arbeitslosen in die drei Gruppen vornehmen können.

Einen Arbeitssuchenden eine Stufe raufklassifizieren, etwa von schlechter Perspektive zu mittlerer, kann jeder Berater. Soll jemand runtergestuft werden, wird vom AMS eine zusätzliche Evaluierung vorgeschrieben, die klären soll, ob beim Betroffenen alles probiert wurde, um ihn zu unterstützen. Menschen unter 25, für die eine Ausbildungsgarantie in Österreich gilt, können nie in die Gruppe mit schlechten Perspektiven gereiht werden. Dies wird dem Algorithmus vorgegeben. (András Szigetvari, 12.10.2018)