Ministerin Kneissl und EU-Außenbeauftragte Mogherini haben ihren Platz für das Familienfoto gefunden, die Ministerkollegen am Ende auch.

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Am 14. Oktober hat Karin Kneissl auf offener Burgtheaterbühne in gewohnter Oberlehrerinnenmanier behauptet, dass kaum noch Außenminister, insbesondere aus "großen" Mitgliedsländern, zum entsprechenden EU-Ministerrat kämen. Messerscharf analysierte sie das als Zeichen eines grassierenden Desinteresses in Europas Hauptstädten am europäischen Einigungsprozess. Mit dieser Milchmädchenanalyse ist sie übrigens eine Art Wiederholungstäterin, hat sie Ähnliches doch auch schon im Juni unwidersprochen behaupten können. Diese ihre Aussagen halten bloß dem Realitätscheck nicht stand.

In Kneissls einzigen "eigenem" EU-Ministerrat – dem Rat für auswärtige Angelegenheiten – ist das Bild jedenfalls eindeutig. Während des ersten Halbjahrs 2018 (also quasi ihrer bisherigen Amtszeit) betrug die Präsenz von Regierungsmitgliedern aus den 28 Mitgliedsländern mehr als 89 Prozent. Auch die kritisierte Teilnahmefrequenz aus "großen" Mitgliedsländern lässt sich nicht nachweisen. Kneissls eigene Anwesenheit lag übrigens knapp unter dem Durchschnitt.

Im Vergleich zum ersten Halbjahr des Jahres 2017 stieg heuer sogar die korrekte und somit stimmberechtigte Anwesenheit von Regierungsmitgliedern im EU-Außenministerrat; damals lag sie nämlich unter 86 Prozent, und der zuständige österreichische Außenminister brachte es auf knapp mehr als 70 Prozent Anwesenheit.

Fluchtursachenbekämpfung

Selbst in der weniger beliebten Sonderformation "Entwicklung" steigerte sich 2018 die Anwesenheit von 68 Prozent auf heuer mehr als 78 Prozent. Wobei Österreich seiner langjährigen Tradition treu blieb und wieder kein Regierungsmitglied nach Brüssel schickte, um die für die innenpolitisch prioritäre Fluchtursachenbekämpfung so wichtige europäische Entwicklungspolitik mitzudiskutieren.

Bis zur türkis-blauen Kompetenzverschiebung in EU-Belangen fiel noch ein weiterer EU-Ministerrat, der Rat Allgemeine Angelegenheiten, in die Zuständigkeit des österreichischen Außenministeriums. 2016 lag die durchschnittliche Ministeranwesenheit bei rund 80 Prozent. Im ersten Halbjahr 2017 betrug die Präsenz der EU-28 dann 74 Prozent. Im ersten Halbjahr des aktuellen Jahres – nach dem Transfer der Zuständigkeit aus dem Außenministerium ins Kanzleramt – beträgt die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern aller EU-Staaten in dieser Ratsformation 79 Prozent.

Die Überprüfung der Anwesenheit von Regierungsmitgliedern aus den EU-Mitgliedstaaten in den diversen anderen EU-Ministerräten lässt sich fortsetzen und ergibt das immergleiche Bild: Die Teilnahme und Präsenz verändern sich kaum. Was bewegt nun aber die österreichische Außenministerin dazu, wiederholt eine offensichtliche Falschbehauptung in die Welt zu setzen? Fake News, nur um beachtet zu werden? Oder versucht da jemand, die Legitimierung einer zentralen EU-Institution bewusst zu unterminieren? (Stefan Brocza, 22.10.2018)