Bild nicht mehr verfügbar.

Chinas Staatschef bei seiner Ankunft am Dienstag auf den Philippinen. Für den Gastgeber Rodrigo Duterte ein "historisches Ereignis", für Xi Jinping ein "Meilenstein in der Geschichte des Austauschs" zwischen den beiden Ländern.

Foto: Reuters/Erik De Castro

In den letzten zehn Jahren verfolgte China einen zunehmend forschen Ansatz hinsichtlich seiner Beziehungen mit ostasiatischen Ländern. In den vergangenen Monaten allerdings hat das Land seine Nachbarn mit einer Charmeoffensive überrascht. Was hat sich geändert?

Soweit es Chinas Verhalten in der Region betrifft, ziemlich viel. 2013 rief China das Gebiet um die umkämpften Senkaku-/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer einseitig zu einer Identifikationszone zur Luftverteidigung aus – und verschärfte damit die Spannungen mit Japan. Ein Jahr später begann China mit der Errichtung künstlicher Inseln in umkämpften Gebieten im Südchinesischen Meer. Und als Reaktion auf die südkoreanische Entscheidung, den USA die Stationierung eines Raketenabwehrsystems zu gestatten, verhängte China 2016 Sanktionen gegen Südkorea.

Geopolitische Schikanen

Mittlerweile scheinen allerdings derartige geostrategische Schikanen in der Diplomatie in den Hintergrund zu treten. Letzten Monat empfing Chinas Präsident Xi Jinping den japanischen Premierminister Shinzo Abe in Peking. Abes Besuch in China war der erste eines japanischen Spitzenpolitikers seit sieben Jahren, und Xis für nächstes Jahr geplante Visite in Japan ist der erste Besuch eines chinesischen Präsidenten seit über einem Jahrzehnt.

Letzte Woche reiste der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang nach Singapur, wo er eine aktualisierte Fassung des Freihandelsabkommens zwischen China und Singapur unterzeichnete. Überdies hofft er, im nächsten Jahr die von China initiierte Regional Comprehensive Economic Partnership zu unterzeichnen und umzusetzen, die der mittlerweile aufgelösten Transpazifischen Partnerschaft etwas entgegensetzen sollte. Dabei handelt es sich um ein übermäßig ehrgeiziges Ziel, das man aufgrund der Komplexität von Handelsabkommen zwischen mehreren Parteien wahrscheinlich nicht erreichen wird.

Handel mit Freunden

Chinas neuer, weniger feindseliger Ansatz ist keineswegs Ausdruck eines Sinneswandels oder geänderter Zielsetzungen aufseiten seiner Führung, sondern eher einer veränderten geopolitischen Landschaft in der Region. In den letzten sechs Monaten haben die USA ihre vier Jahrzehnte währende Politik der Einbindung Chinas aufgegeben und durch eine Strategie der Eindämmung ersetzt. Da sich China nun einem eskalierenden geopolitischen Wettbewerb mit den USA gegenübersieht, ist man bemüht, in der Region Freunde zu gewinnen.

Obwohl Chinas Charmeoffensive noch nicht lange andauert, sind ihre Konturen bereits deutlich sichtbar. Das hervorstechendste Merkmal ist der Handel. Als größter Handelspartner zahlreicher asiatischer Länder wird China seinen Nachbarn – ähnlich wie im Falle Singapurs – attraktive Handelskonditionen anbieten.

Zur neuen Taktik zählt auch ein umfassenderes diplomatisches Engagement auf höchster Ebene, wobei man neben Japan die führenden regionalen Akteure wie Südkorea, Indonesien und Vietnam in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Xi Jinping stattete etwa erst den Philippinen einen Besuch ab. Mittels Gipfeltreffen und anderer Gelegenheiten, im Rahmen derer hochrangige Beamte zusammenkommen, will China versuchen, freundlichere Beziehungen mit seinen Nachbarn zu pflegen. Zur Unterstützung dieser Bemühungen wurde die Propagandamaschinerie wahrscheinlich auch angewiesen, ihre nationalistische Rhetorik abzuschwächen und Inhalte zu streichen, die die Nachbarn verärgern könnten.

Schließlich könnte sich China auch hinsichtlich seiner Gebietsansprüche vorübergehend mäßigen. So ist es unwahrscheinlich, dass das Scarborough-Riff, das man sich 2012 von den Philippinen aneignete, in absehbarer Zukunft zu einer weiteren künstlichen Insel ausgebaut wird. Ebenso wird man es wahrscheinlich vermeiden, Schiffe in die Nähe der Senkaku-/ Diaoyu-Inseln zu entsenden und damit Japan gegen sich aufzubringen.

Neue Diplomatie

Die ostasiatischen Länder haben bisher positiv auf Chinas neue Diplomatie reagiert. Zweifellos würden sie jede Unterbrechung der chinesischen Kampfbereitschaft begrüßen. Aber weder Schmeicheleien noch Handelsabkommen werden China verlässliche Verbündete bescheren, vor allem nicht im Wettbewerb mit den USA.

Wenige Länder in Ostasien möchten im Schatten eines hegemonial agierenden China leben. Die Angst vor diesen Aussichten bildete lange Zeit das Fundament der amerikanischen Sicherheitsarchitektur in Ostasien, die auf bilateralen Bündnissen und der Entsendung von US-Militär gründet. Und sie sichert den USA auch weitverbreitete Unterstützung in Ostasien, wenn es darum geht, als strategisches Gegengewicht in der Region zu agieren.

Freilich ziehen es die meisten ostasiatischen Länder vor, sich nicht klar für eine Seite zu entscheiden. Sollten die USA und China allerdings in einen direkten strategischen Konflikt geraten – ein zunehmend wahrscheinliches Szenario -, würden die USA die meiste Unterstützung bekommen, insbesondere von ihren Verbündeten wie Japan, Südkorea und Vietnam. Auch Malaysia und Singapur würden sich wohl auf die Seite der USA stellen.

Wenn China in der Nachbarschaft verlässliche Freunde finden will, muss es in territorialen Konflikten größere Zugeständnisse machen. Eine dauerhafte Regelung der Gebietsansprüche auf die Senkaku-/ Diaoyu-Inseln würde Japan davon überzeugen, dass China keine ernsthafte Bedrohung darstellt. In ähnlicher Weise würde man die Ängste der südostasiatischen Nachbarn zerstreuen, wenn China hinsichtlich seiner Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer die internationale Schiedsgerichtsbarkeit akzeptierte.

Nichts deutet darauf hin, dass Xi, der versprochen hat, "China wieder groß" zu machen, derartige Zugeständnisse in Erwägung zieht. Aber solange China einen rein taktischen Ansatz verfolgt, wird man auch nur rein taktische Gewinne verbuchen. Diese Gewinne werden nicht annähernd ausreichen, wenn es um den Aufbau von Freundschaften geht, die einem strategischen Konflikt mit den USA standhalten sollen. (Minxin Pei, aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 21.11.2018)