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Neue Musik ist für alle da. Wenn sie wollen.

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Zu den wirklich zählbaren Errungenschaften der Nachkriegsordnung gehört die Flutung des Alltagslebens mit schöner, dissonanter Neuer Musik. Jedes Kind weiß, wie schwer es den Erfindern der Dodekaphonik (Schönberg, Berg, Webern) anfangs gefallen war, ihre als misslautend verschrienen Errungenschaften beim Publikum durchzusetzen.

Aber aus Buh-Rufern, die mit dem Schlüsselbund klingelten, wurden – spätestens mit Anbruch der Ära Kreisky – in die Wolle gefärbte Parteigänger der Zwölftönerei. Heute pfeifen Bäckerlehrlinge zwei, drei Takte aus Moses und Aron, wenn sie ihre Dinkellaibchen während eines gesegneten Zwölfstundentags im Kastenwagen verladen. Und jede Hairstylistin stellt ihren Kundinnen zuliebe das Radio auf Ö1, wenn dort ein geiles Oratorium von Karl Schiske läuft (Vom Tode) oder György Ligeti wieder einmal einen seiner total angesagten mikrotonalen Klangteppiche webt. "Dreh lauter!" ist noch das Zurückhaltendste, was einer Dame unter der Trockenhaube dann entfährt.

Zwölf Monate im Jahr modern

Heute läuft das Festival Wien modern bekanntlich zwölf Monate im Jahr. Aber es war nicht immer so. Als ich, ein zaghafter Babyboomer, auf Kindesbeinen in das Musikkonservatorium stapfte, da erwartete mich allwöchentlich das Reich der Mütter hinter bordeauxroten Polstertüren. Meine Klavierlehrerin schien ihrerseits noch Rubinstein auf dem Schoß gesessen zu sein. Ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, ihr Gebiss glänzte in der Farbe der Klaviertasten. Sie selbst schien, dem Antlitz nach zu schließen, bereits vor Errichtung der prächtigen Ringstraßenbauten durch die Gassen Wiens gelaufen zu sein.

Abgesehen von den Tonleitern erschöpfte sich ihr pädagogisches Wähnen im Hinweis auf die betrübliche Tatsache, dass die Entwicklung der abendländischen Tonkunst mit der Erscheinung Richard Wagners im Wesentlichen abgeschlossen gewesen sei. Ich brauchte tatsächlich viele Jahre, um dieses schnöde Vorurteil zu überwinden. Heute muss ich unwillkürlich lächeln, wenn ich mir die Kids in der S-Bahn ansehe. Aus ihren Ohrstöpseln knallt der heißeste Scheiß von Olga Neuwirth oder Haubenstock-Ramati. (Ronald Pohl, 28.11.2018)