Es naht die Weihnachtszeit mit riesigen Schritten. Der Herzerlbaum vorm Rathaus ist wieder da, die Innenstadt riecht wie ein einziger großer Klumpen Zuckerwatte, durchbrochen von Punsch. Die Lichtlein brennen und mildern die winterliche Finsternis, von der wir noch richtig gut viel auf Vorrat haben. Die heidnische Sonnenwende wird aber sehnsüchtig erwartet. Wer jetzt keine Kekse hat, wird nicht lang so bleiben. Und wer jetzt abnehmen will, der ... ach, lassen wir das.

Lassen wir das, und freuen wir uns auf Husarenkrapfen, gebrannte Mandeln, fruchtige Eisenbahner, Zimtsterne und die unausweichlichen, unaussprechlichen, die zuckerbuttrigsten Vanillekipferln, schon von Daniel Glattauer besungen, die böse Versuchung so zu bieten hat.

Die Zusammenkünfte bringen viel: Liebe, Wärme, Nähe und Kilos. Und wer sich der weihnachtlichen Hokusai-Welle entgegenstemmt, wird mit familiärer Entrüstung abgestraft. Wählt man beispielsweise aus zwei gleichwertig verlockenden Kekserln diättechnisch bedingt nur eines aus, kommt in Abwandlung des Witzes über die jüdische Mutter die leicht beflunschte Frage: "Und das andere schmeckt dir nicht?!"

Meine Großmutter selig bildete in solchen Situationen üblicherweise den verlässlichen Höhepunkt jedes Familientreffens. Alle Jahre wieder. Sie, die nie um verbale Faustwatschen verlegen war, hatte ganz klare Worte übrig für diesen Gefühlszustand, der sich in ihr offenbar nach solcherart gewagter Zurückweisung manifestierte. Sie brauchte auch weit weniger Gründe als ein verschmähtes Kekserl, um diese Worte gnadenlos jedem um die Ohren zu hauen, der ihr Ungemach verursacht hatte.

Zum Beispiel wenn die Torte nicht innerhalb von Sekunden, nachdem sie von ihr auf dem sternchenverzierten Leinentischtuch abgestellt worden war, auch schon verputzt worden ist.

Dann baute sie sich über der Festtafel auf wie ein Gewitter: "Du spuckst in meine Seele!" Und zwar geschmettert, nicht geseufzt. Und jetzt nichts wie ran an die Kalorien. (Julya Rabinowich, 30.11.2018)