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Das Bild wird bald der Vergangenheit angehören: US-Truppen patrouillieren mit Soldaten des Bündnisses Demokratische Kräfte Syriens (SDF).

Foto: Reuters/Rodi Said

Als der US-Präsident den Abzug der USA aus Nordostsyrien verkündete, schien er auch seine eigene Regierung zu überraschen. Außer einer Verbesserung der Beziehungen zu Ankara ist nicht absehbar, was er damit bezweckt. Gudrun Harrer

Am Tag danach – nachdem Donald Trump den Abzug der US-Truppen aus Syrien verkündet hat – gibt es zur Entstehungsgeschichte zwei Meinungen: Die einen glauben an einen echten Plan des Weißen Hauses, die anderen an eine spontane Entscheidung des US-Präsidenten.

Zur Version eins: Demnach hätte Trump langsam auf diese Entscheidung hingesteuert, und zwar vor allem in der Absicht, den Nato-Partner Türkei zumindest in dieser Sache zufriedenzustellen, wenn es schon in anderen Belangen – Khashoggi, Gülen – nicht geht. Ein Advokat für gute Beziehungen zu Ankara sei der neue Syrien-Beauftragte James Jeffrey. Als Draufgabe zum Ende des US-Schutzes für die syrisch-kurdischen YPG-Milizen, die die Türkei im Visier habe, bekommt die Türkei nun auch die lange erwünschten Patriot-Abwehrraketen.

Jeffrey glaube demnach, die Situation in Nordostsyrien – wo bisher die USA kurdisch dominierte lokale Kräfte unterstützte – könne auch ohne direkte US-Präsenz unter Kontrolle gehalten werden: sprich, die Türkei könne von der Invasion ins Gebiet "östlich des Euphrat" abgehalten werden, mit der Präsident Tayyip Erdogan seit Tagen droht.

Nachkriegsordnung

Das soll vor allem dadurch geschehen, dass die Türkei besser in den politischen Prozess zur Errichtung einer Nachkriegsordnung eingebunden wird – und ihre Interessen stärker durchsetzen kann, auch ohne militärischen Nachdruck. Die Steuerung dieses Prozesses wird aber nicht mehr nur Russland und dem Iran überlassen, sondern die Uno soll wieder federführend werden. Und tatsächlich: Das wichtige Treffen zur Schaffung eines Verfassungskomitees fand diese Woche in Genf statt – und nicht in Astana.

Das ist die etwas komplizierte Konstruktion, zu der meist auch die kalmierende Ansicht gehört, dass in den bis zu 100 Tagen, innerhalb derer die etwa 2000 Soldaten mit Hilfspersonal Nordostsyrien verlassen sollen, viel passieren kann. Es sei jetzt nur von "Phase eins" die Rede, man solle warten, was "Phase zwei" bringt.

Die andere Denkschule glaubt eher an eine spontane Entscheidung Trumps für die Türkei – und gegen die Interessen einer Reihe anderer Partner der USA in der Region. Für Trump mag der willkommene Nebeneffekt dabei sein, dass er darauf verweisen kann, das zu tun, was er stets angekündigt hat; seine Form der Konsistenz. Dass Experten bestreiten, dass der "Islamische Staat" besiegt ist – wie Trump betont -, blendet er aus.

Eine Verschwörungstheorie ist zumindest zusammengebrochen: dass die USA gar nicht wollen, dass der IS komplett verschwindet, eben weil sie eine bequeme Ausrede haben wollen, in Syrien zu bleiben.

Die strategischen Ziele

Für die Kritiker – darunter mit Gewissheit auch in seinen engsten Reihen – ist die Entscheidung aber genau das Gegenteil von konsistent. Trumps Strategen haben drei Ziele formuliert, die mit den US-Truppen in Syrien erreicht werden sollten: dem IS jede Handlungsfähigkeit zu nehmen und sein Wiederentstehen zu verhindern; für die Entfernung der Präsenz der Iraner und der von ihnen abhängigen Gruppen in Syrien zu sorgen; und auf eine irreversible politische Transition hinzuarbeiten.

Insofern werden als Gewinner der Trump'schen Entscheidung folgende Akteure genannt: außer der Türkei Russland, der Iran und die Assad-Regierung. Die Verlierer sind die YPG-Kurden, die sich nun von den USA fallengelassen und der Türkei ausgeliefert sehen; Israel, das auf ein US-Engagement zur Iran-Eindämmung Wert legt; detto Jordanien, aber auch Saudi-Arabien, ebenfalls hauptsächlich wegen der iranischen Präsenz.

Falls Trump es wirklich ernst meint und die USA in absehbarer Zeit komplett abziehen, stellen sich mehrere Fragen: Gibt es einen Plan, den vielzitierten iranischen "Korridor" ans Mittelmeer – Iran- Irak-Syrien- Libanon – anders zu verhindern? Aus Sicht der amerikanischen Iran-Hardliner ist schwer zu glauben, dass Trump einen so massiven Politikwechsel vollzieht.

US-Ersatz gesucht

Aber wer soll die USA in Nordostsyrien ersetzen? Trump hat immer wieder eine stärkere Rolle Riads verlangt; und das Szenario, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate arabische Stämme in Nordostsyrien – gegen wen auch immer – militärisch unterstützen, ist nicht neu. Das würde nichts Gutes für die Kurden bedeuten, deren von den USA geförderte Dominanz von den Arabern ohnehin kritisch gesehen wird. Es würde auch neues türkisch-arabisches Konfliktpotenzial schaffen, falls die Türkei wirklich versucht, Nordostsyrien ihrem Einflussbereich zuzurechnen. Das ist ein arabisches – nicht nur ein syrisches – Trauma.

Auch Russland ginge es gegen den politischen Strich, sollte die Türkei in der Trump-Entscheidung einen Freibrief für künftigen Einfluss in Syrien sehen. Die syrische Integrität ist ein russisches Mantra; die Türken dürfen zwar mitspielen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. (Gudrun Harrer, 20.12.2018)


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