Im Februar 2019 nimmt Landeshauptmann Hans Niessl Abschied von der Politik.

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Als Hans Niessl vor 18 Jahren Landeshauptmann wurden – am 28. Dezember 2000 war das –, regierte in Wien Schwarz-Blau. Wenn er nun abtritt, am 28. Februar 2019, regiert Türkis-Blau. Über die Zukunft der SPÖ spricht Niessl im Interview.

STANDARD: Sie gelten als Rechtsverbinder, der seit 2015 mit der FPÖ koaliert und stets die Unterschiede zwischen der Großstadt Wien und dem Land betont. Wie soll die SPÖ so je wieder einen Kanzler stellen?

Niessl: Rechts- und Linksverbinder – das war einmal im Fußball, aber dort gibt es das längst schon nicht mehr ...

STANDARD: Aber in der Politik schon.

Niessl: Wer sagt das?

STANDARD: So manche Ihrer Genossen.

Niessl: Nicht alles, was gesagt wird, muss auch seine Richtigkeit haben. Rechts- und Linksverbinder hat es schon damals nicht mehr gegeben, als ich noch Trainer gewesen bin. Diese Taktik ist Schnee von gestern, Retrofußball, so spielen höchstens noch Seniorenmannschaften.

STANDARD: Die SPÖ wäre also eine Art Seniorenmannschaft?

Niessl: Ein paar mögen so reden, dass es "rechts" gibt und "links". Aber diese traditionelle Einstufung ist zu hinterfragen, ob das noch die gleiche Gültigkeit hat wie vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren.

STANDARD: Wie lässt sich das sonst beschreiben, was in der SPÖ seit spätestens 2015, seit Ihrem Tabubruch mit Rot-Blau im Burgenland, vor sich geht?

Niessl: Bruno Kreisky ist mit blauer Hilfe Kanzler geworden, Fred Sinowatz war Kanzler einer rot-blauen Regierung. Also wo ist der Tabubruch?

STANDARD: Es war Ihre eigene Partei, die über Sie hergefallen ist, weil sich die SPÖ Burgenland über den Parteitagsbeschluss, nicht mit Blau zu koalieren, hinweggesetzt hat.

Niessl: Teile der eigenen Partei! Das waren jene, die heute nicht mehr führend in der SPÖ sind.

STANDARD: Wie war das für Sie persönlich? So was geht ja nicht spurlos an einem vorbei. Oder war Ihnen die Wiener Reaktion wurscht?

Niessl: Ich sage nicht, dass es mir wurscht war. Aber wenn ich ein Koalitionsabkommen unterzeichne – das ist einstimmig beschlossen worden im Landesparteivorstand -, dann hab ich mich daran zu halten.

STANDARD: Dieser Pakt hat wohl auch Werner Faymann geschadet. Der damalige Bundeskanzler hat stets auf den Parteitagsbeschluss gepocht.

Niessl: Ich glaube, dem Werner Faymann haben ganz andere geschadet. Jene, die jetzt nicht mehr so sehr in der Politik sind. Wenn ich an den 1. Mai 2016 denke, an den, den ... organisierten Protest gegen ihn, um es so auszudrücken, dass es druckreif ist.

STANDARD: Michael Häupl und Sie haben als Nachfolger von Faymann Gerhard Zeiler favorisiert. Geworden ist es dann Christian Kern. Ein kleiner Affront?

Niessl: Das ist so gekommen, das musste man so zur Kenntnis nehmen. Ich habe in den 18 Jahren immer versucht, mit dem jeweiligen Parteichef gut zusammenzuarbeiten. Kern ist der Beste gewesen, der zur Verfügung gestanden ist. Er hat dann aber selbst gesagt, er ist nicht der ideale Oppositionspolitiker. Einer, der nicht jeden Tag mit dem Bihänder irgendwohin schlägt. Kern hat aber schon den Fehler gemacht, nach der Präsentation des Plans A keine Neuwahlen zu machen. Wenn man zurückschaut, wäre das wohl der richtige Weg gewesen, und er wäre, das behaupte ich, heute noch Bundeskanzler. Er hat sehr großes Vertrauen gehabt zu Reinhold Mitterlehner. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte der Vizekanzler offenbar nicht mehr das Sagen in der ÖVP gehabt. Dass Kurz die Partei übernehmen wird, haben viele vermutet.

STANDARD: Sie auch?

Niessl: Für mich war das klar.

STANDARD: Ihnen hat Kern aber nicht geglaubt?

Niessl: Er hat auch andere gehabt, mit denen er gesprochen hat, und die hatten andere Eindrücke.

STANDARD: Der Übergang von Kern zu Pamela Rendi-Wagner war in Ihrem Sinne? So mancher hatte ja den Eindruck, Kern habe mit seinem Rücktritt den burgenländischen Parteitag abgewartet und damit die definitive Stabübergabe von Ihnen an Hans Peter Doskozil.

Niessl: Es haben tatsächlich viele den Eindruck, dass er darauf gewartet hat. Ich habe ihn aber nicht gefragt. Sein abruptes Abtreten war in dieser einzigartigen Vorgangsweise schon eine massive Enttäuschung. Das hätte man anders lösen können. Rendi-Wagner ist eine gute Entscheidung. Der Weg, wie man dorthin gekommen ist, war aber mühsam. Die Menschen haben den Eindruck gehabt, die SPÖ ist nur mit sich selbst beschäftigt.

STANDARD: Das Burgenland hat sich als erste Landesgruppe hinter Rendi-Wagner gestellt. War da nicht auch ein wenig Ungeduld dabei?

Niessl: Wir haben uns entschieden, Pamela Rendi-Wagner ist es! Aber jetzt muss gearbeitet werden. Jetzt muss endlich Oppositionspolitik gemacht werden.

STANDARD: Wird Oppositionspolitik gemacht?

Niessl: Da gibt es weiterhin großes Potenzial nach oben. Oppositionspolitik heißt nicht, dass die Oppositionsführerin das allein macht. Es gibt eine ganze Reihe von Bereichssprechern und ehemaligen Ministern, die im Nationalrat sitzen. Mir gefällt zum Beispiel der Gewerkschafter Josef Muchitsch. Ein großer Aktivposten, der nicht nur kritisiert. Es geht darum, konstruktiv zu bleiben, Vorschläge zu machen, sinnvollen Vorschlägen auch zuzustimmen. Das hat Hans Peter Doskozil gemeint, als er die Partei aufgefordert hat, bei der Mindestsicherung nicht auf Fundamentalopposition zu schalten.

STANDARD: Hätte Ihnen Doskozil im Bund besser gefallen?

Niessl: Für mich ist er der beste Nachfolger, den ich mir wünschen kann. Es ist sicherlich jetzt die beste Lösung, dass er im Burgenland Landeshauptmann wird.

STANDARD: Wenn er sich via "Krone" mit Rendi-Wagner Gefechte liefert wie zuletzt wegen der Mindestsicherung, ist das nicht genau dieses "Mit-sich-selbst-Beschäftigen", das Sie kritisieren?

Niessl: Nein, denn das ist ja eine inhaltliche Auseinandersetzung. Die gehört dazu in einer so großen Partei. Mir ging es darum, dass wir uns beim Abgang von Christian Kern zu sehr mit uns beschäftigt haben.

STANDARD: Wenn man schon die Verbinder als unmodern abtut – Flügel gibt es auch im modernen Fußball. Kann die SPÖ aus den ihren einen schlagkräftigen Sturm formen? Diesen Eindruck hat man nämlich nicht.

Niessl: Im modernen Fußball wechseln die Außenspieler häufig die Seiten, sodass der rechte Flügel dann der linke ist und umgekehrt. Die starren Positionen gibt es im Fußball schon lange nicht mehr. Und so ist es auch in der Politik. Aber manche trauern halt immer noch nostalgisch der traditionellen Politikdefinition nach. Max Weber, der große Soziologe, hat von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gesprochen. Wenn man jahrzehntelang Regierungspartei war, dann steht die Verantwortungsethik automatisch im Mittelpunkt. Daraus resultiert ein gewisser Pragmatismus, der auch manchmal kritisiert wird. Aber Regierungsverantwortung heißt, Verantwortung für das ganze Land zu übernehmen und nicht nur die Ideologie vorn hinzustellen.

STANDARD: Sie waren fast zwei Jahrzehnte Landeshauptmann. Worauf sind Sie rückblickend am stolzesten?

Niessl: Stolz bin ich darauf, was die Burgenländer geschafft haben in dieser Zeit. Wir haben heute 30 Prozent mehr Arbeitsplätze im Land, netto. Von 80.000 im Jahr 2000 haben wir uns auf mehr als 100.000 im Schnitt gesteigert. Im nächsten Sommer – da wette ich um eine gute Flasche Wein – werden wir 110.000 haben. Wir haben die Chance, die uns der Ziel-1-Status mit seinen Förderungen geboten hat, wirklich genützt. Erst in Koalition mit der ÖVP, jetzt mit der FPÖ. Der zweite wesentliche Punkt ist das Bildungssystem. Da haben wir uns vom Land der Schulschande zu einem modernen, selbstbewussten Bildungsland gemausert. Und zum Dritten haben wir ein gutes Gesundheits- und Sozialsystem, das ist für ein ländliches Gebiet nicht einfach zu organisieren.

STANDARD: Wird der Langzeitpolitiker Hans Niessl von der Politik lassen können?

Niessl: Ganz sicher. Ich bin gerade dabei, eine eigene Firma zu gründen, ein Beratungsunternehmen. Da habe ich dann wohl genug zu tun.

STANDARD: Wen wird diese Firma beraten?

Niessl: Im März oder April werde ich das Unternehmen operativ stellen, dann werde ich das auch genau sagen. (Wolfgang Weisgram, 27.12.2018)