Wer hat da Brand gestiftet? Und wie das qualmt – ärgstens. Und wie das stinkt – bestialisch.

Foto: APA/Herbert Neubauer

Sie zieht die Türe zum im Tiefgeschoß der Hofburg liegenden Rauchbereich auf und entert. So viele sind da. Wie viele genau? Sag du es.

Der Raum ist gesteckt voll. Beinahe schafft sie es nicht, sich hineinzudrängen. Es wird gerufen, sich laut zugeprostet, die ganze Derberei freigesetzt. Die Wampste hüpfen im Lachen auf und ab. Die Arme werden hochgehalten in Herrlichkeit, Lieder darüber gesungen. Dicht an dicht ist hier der Bodennähe Höchstes gefunden. Streng und ordentlich – das war vorher. Jetzt ist ihre Aufmachung nicht mehr frisch, alles bereits zerknittert, schlampert und lax wie das zotige Gesicht. Nicht mehr stramm gestanden – vielmehr torkelnd. All die Herren ziehen lasch an ihren Zigaretten, an Zigarren, trinken aus den Gläsern in schweren Zügen.

Männer in Festwichs

Vorsichtig schlüpft sie durch die Reihen und bleibt in der Mitte des Menschenhaufens stehen. Nach einem kurzen Umsehen nimmt sie eine Zigarette heraus und zündet sie sich an. Als sie aufblickt und den Rauch aus sich drückt, merkt sie, dass viele Mannsbilder ihr das brennende Feuerzeug hingehalten. Sie lächelt: Was für eine Gasverschwendung. Mehrere Männer in Festwichs umstehen sie also. Sie grinsen breit, was die tiefen Schmisse zieht. Hochalkoholisiert sind sie, fett könnte man sagen, weswegen manche sich müssen an den Tischen festhalten oder an der Wand anlehnen. Aber stehen tun sie noch. Die Schärpe haben sie alle von der rechten Schulter gehend. Ihr Festwichs ist ein Frack. Das soll hier betont werden: Nur auf der Feststiege stehen die Burschen in Vollwichs, in ihrer als Galauniform bezeichneten Kleidung der Couleurstudenten. Der viel größere Rest ist in Frack hier, manche in billigem, manche in Popeline mit Hemden gestärkt van Bosweel. Auf den Schädeln tragen sie ihre je nach Burschenschaft individuelle Cere vise, mit dünnem Gummiband am Kopf asymmetrisch an der vorderen Kopfseite befestigt. Man nennt sie auch Tönnchen, von Biertonne, Bierdeckel, und diese haben keinen Schirm, sind gesteift aus Papier, in den Couleurfarben, manche oben mit dem Zirkel der Verbindung drauf. Oder auch einfach einen ordinären Deckel.

So stehen sie hier Schulter an Schulter, denn Sessel gibt es keine, nur Stehtische. Was ist das für ein Raum? Ein Gast mit Namen Esther Straganz hierzu: "Der Rauch-Keller ist ein im Untergeschoß liegender länglicher Raum. Vom Ball weg fährt man hin mit einem Lift, der grell beleuchtet ist und alles überreal zeigt. Die Lifttüre öffnet sich automatisch, und man weiß nicht, wie viele Stockwerke es waren. Durch eine weitere Türe, vor der Buchsbäume auf ihren langen Tod warten, geht man in den verrauchten Schlauch. Der Raum ist kahl und charmelos. Tische mit Aschenbechern stehen herum und werden von Seitenstrahlern indirekt beleuchtet. Alles scheint neumodern."

Sie drängt sich zu einem Stehtisch hin, dämpft im Aschenbecher ihre Zigarette aus, lässt diese zuerst aus Zeige- und Mittelfinger gleiten, um dann mit dem Daumen fest auf den Filter zu drücken. Wie immer versucht sie, das ganze Glutnest vollständig auszumachen. Rhythmisch reibt und drückt sie am Porzellan des Aschenbechers. Abermals hebt sie den Kopf und blickt auf die Chargierten rings um sie, in die erhitzten Gesichter. Mehr als ausgelassen machen sie sich zum Gesetz. Viele aufgerissene Münder, überlaute Stimmen, tief und ausufernd, das detailversessene Klumpert klingen hört man da nicht mehr. So ein Sein wächst sich aus einem vermessenen Hirn. Was glaubst du, wer hier der Chef ist?

Und dann: Es wird warm. So warmherzig, wie sie sind? Mehr: Es wird heiß beinah. Können die wenigen Körper diese Wärme erzeugen? Und trotzdem geschieht es. Sie spürt das. Nein es wird überheiß hier drinnen, eindeutig. Viel zu arg für diesen Raum. Die Herrschaften bemerken das, manche ziehen unmittelbar den Frack ab, andere lockern den Hemdkragen, man lacht inbrünstiger, man macht sich daran, kühle Luft zuzufächern. Hat es so etwas nicht schon gegeben in der Geschichte?

So beginnt es: das Brennen. Fast zeitgleich fangen sie Feuer, die Kleidung, die Haut, die lustigen Gesichter. All jene, die sie umstehen, alle hier in diesem Keller. Sie tritt an die Wand zurück. Dich würde das auch schrecken, so ein Auflodern, Auflohen, allumfassendes Aufflammen der Leiber, ein Wallen in Flammen jedes einzelnen. Gelb und weiß und gülden ist die Lohe. Tönnchen und Haare sind schnell weg, auch die Kleidung. So eine bestimmende Hitze macht das, wie es eine Einäscherung macht. Sie sind in Brand gelegt. Sie werden in Asche liegen. Wer hat da Brand gestiftet? Und wie das qualmt – ärgstens. Und wie das stinkt – bestialisch. So steht sie drin im Entbrannten und hustet schon und wedelt den Rauch weg vor dem Gesicht.

All die verkohlten Leiber

Da verbrennen sie also, stehen lichterloh in Flammen und wissen nicht, wie ihnen ist. Unlustig, sehr bitter. Manche drängen hysterisch durch den Raum mit wenig Ehre im Leib, wollen sich löschen, schütten sich die Getränke, das eine oder andere Bier auf den Körper hin ohne Erfolg. Wandelnde brennende Büsche fahren durch den Raum hier, erstrahlen und erleuchten den lauschigen Ort, in sich aufgeflammt, aufgeflackert. Da wird geschrien im Schmerze, sehr laut. Manche breiten die Hände pathetisch aus, wie die allzeit so pathetisch sein müssen. Taumeln setzt ein, einige fallen gleich, manche stehen einfach nur da. Stetig dunkler werden die Körper im Feuer, dann schwarz, so schwarz wie Ruß, so schwarz wie das Trauerkleid deiner Großmutter, ganz schwarz. Schärfstes Sengen ist das, und Abbrennen. So lange, bis kein Saft mehr im Körper ist. Wie das brutzelt!

Letztlich fallen sie zusammen. All die verkohlten Leiber, Glut dabei, so viel Asche, mancherorts noch ein unwillkürliches Zucken darin. Wie das auseinanderstirbt, mein Freundchen! Schreien tut niemand mehr. Nur noch leises Knistern der letzten Flämmchen am Boden, ein Knacksen der Glut ist zu vernehmen. Hättest du gedacht, dass es so endet?

Sie sieht um sich: nichts mehr da. Es gibt niemanden mehr. Alles niedergegangen. Alles hin. Vorsichtig steigt sie über die noch glühend heiße Asche am Boden hinweg. Sie geht zur Türe hin und dort raus. Die Treppen steigt sie hoch. Wer entvölkert diesen Ort, dieses Haus?

In der Eingangshalle zündet sie sich im Gehen eine Zigarette an. Auch hier: Keine Seele mehr da. Sie nimmt ihre Damenspende von der seitlichen Theke. Es ist dies ein Sackerl, darin ein Glas mit der Aufschrift Wiener Akademikerball, ein kleines Fläschchen Sekt, ein kleines Fläschchen Bier, ein Büchlein zu Wartburgfest und Bücherverbrennungen von 1817 und einige Gutscheine. Den Mantel holt sie sich selbst aus der Garderobe hervor. Das war ihr Abend. Sie schüttelt den Kopf. Das war’s für sie. Also verlässt sie das Fest, diese Örtlichkeit und winkt sich vor der Eingangstüre ein Taxi heran – fährt damit weiter auf eine Jägerinnenparty. (Lydia Haider und Esther Straganz, Album, 18.1.2019)