Längere Haft für Sexualgewalttäter? Laut Experten bringt das den Opfern nichts. Wichtiger wäre, darauf zu achten, dass mehr der angezeigten Taten vor Gericht landen.

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Leider völlig zwecklos: Das ist noch das freundlichste Urteil, das man Justizexperten zur von der Regierung geplanten Anhebung der Strafen für Sexualgewalttäter entlockt. Das weniger wohlwollende Fazit: Nicht nur sinnlos seien die Strafverschärfungen, sondern womöglich sogar schädlich.

"Hier wird total irrational argumentiert, ohne auf das zu hören, was Experten und Opfer wollen", sagt die Sprecherin der Strafverteidiger, Alexia Stuefer, im Gespräch mit dem STANDARD. Die Politik tue nicht, was sinnvoll sei, sondern das, was die lautesten Stimmen in Online-Foren verlangen. "Das ist Politik für Postings, nicht für die Menschen", ärgert sich Stuefer.

Die Politik bringe zum Ausdruck, dass sie der Justiz misstraue: Denn schon bisher hätten die Gerichte gute Arbeit geleistet, wenn es um die Strafzumessung geht. Wenn die Politik den Richtern nun vorschreibt, dass die verhängten Strafen eine gewisse Schwelle nicht unterschreiten dürfen, dann untergrabe sie diese Arbeit.

Cornelia Koller von der Staatsanwälte-Vereinigung zu den geplanten Änderungen in der ZIB2.
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Auch die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, sieht die Anhebung der Mindeststrafen mit "Skepsis". Als Richter brauche man nämlich einen möglichst großen Spielraum, um auf die konkrete Tat einzugehen und eine gerechte Strafe für den jeweiligen Einzelfall zu finden. Schließlich gebe es eine große Bandbreite und viele zu berücksichtigende Rahmenbedingungen, so Matejka. Zudem teile man die Sorge, dass durch höhere Strafandrohungen die Angst der Opfer, einen Angehörigen oder Bekannten anzuzeigen, größer würde – und sich das Problem dadurch sogar verschärfen könnte.

Täter gehen frei

Denn schon jetzt sei das größere Problem, dass die allermeisten Verfahren in diesem Bereich einfach eingestellt werden, sagt Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS). Warum so viele Verfahren erst gar nicht vor Gericht kommen, sollte zunächst gründlich erforscht werden, um dann Konsequenzen ziehen zu können, fordert Hofinger – doch genau das geschehe hier nicht. Stattdessen greife man mit den Strafverschärfungen zu einem Werkzeug, das erwiesenermaßen untauglich sei. Der Abschreckungseffekt hoher Strafen sei nämlich Wunschdenken und empirisch nicht belegbar – vor allem bei Sexualstraftaten.

Diese Woche will die Regierung im Ministerrat eine Verschärfung des Strafrechts beschließen. Vor allem bei Gewaltverbrechen soll es höhere Mindeststrafen geben. Dass die Richtervereinigung und die Anwaltskammer die Neuerungen skeptisch sehen, beeindruckt die Regierung nicht.
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Was aber, wenn ein verurteilter Vergewaltiger durch die hohe Haftstrafe davon abgehalten werde, noch einmal gewalttätig zu werden? Wie statistische Erhebungen zeigen, werden Sexualstraftäter nur sehr selten rückfällig. Zudem, so Hofinger, sei es "eine Illusion, dass vollere Gefängnisse eine Gesellschaft sicherer machen". Vielmehr sollte eine nachhaltige Sicherheitspolitik "schon zu Beginn des Haftantritts die Frage stellen: Was ist, wenn die Person wieder herauskommt?"

Studien würden zeigen, dass eine gute therapeutische Versorgung im Gefängnis und eine professionelle Bewährungshilfe, die den Täter zur Auseinandersetzung mit seiner Straftat anhält, die effektivsten Mittel zur Senkung der Wiederholungsrate sei.

Zum Plan, dass man Vergewaltiger künftig nicht mehr zu gänzlich bedingten Haftstrafen verurteilen dürfe, sagen Experten einhellig, dass dies schon bisher fast nie vorgekommen sei. Auch Richter-Sprecherin Matejka glaubt, dass es hierbei eigentlich kein Problem gebe. Nach einer Vergewaltigung würde schon jetzt entweder eine teilbedingte oder eine unbedingte Strafe verhängt – hier komme es vor allem auf mögliche anderweitige Vorstrafen des Beschuldigten an.

Von 90 Verurteilungen wegen Vergewaltigung im Jahr 2017 wurde in sechs Fällen die Strafe vollständig bedingt erlassen, berichtet die APA. 2016 waren es sieben von 92. In den Jahren zuvor gab es auch weit höhere Werte. Deutlicher ist das von Frauenorganisationen kritisierte Missverhältnis zwischen Anzeigen und Verurteilungen beim Delikt der Vergewaltigung. Die Quote lag über die Jahre 2008 bis 2017 bei nur 11,44 Prozent: Auf insgesamt 8.508 angezeigte Vergewaltigungen kamen 979 Verurteilungen.

Experten warnten

Die Kritik an den Strafverschärfungen dürfte für die Politik nicht neu sein: Sie wurde nämlich auch in der Taskforce geäußert. Mehrere Mitglieder aus Praxis und Wissenschaft hätten die Ministeriumsvertreter gewarnt, heißt es.

Doch die Politik habe nicht zugehört – der Verdacht liegt nahe, dass schon zu Beginn der Taskforce klar war, was am Ende herauskommen soll.

In dieses Bild fügt sich auch der Umstand, dass ein von Juridicum-Institutsvorstand Christian Grafl für die Expertengruppe erstelltes Gutachten, das keine Notwendigkeit für höhere Strafen sah, bei der nun geplanten Sanktionsanhebung beiseitegelassen wurde. Grafl hatte die höheren Strafen als "unsinnig" bezeichnet. Es sei ein "Unfug", wenn man zwei Jahre nach der großen Strafrechtsreform 2015 "wieder am Rädchen dreht".

Am Mittwoch will die Bundesregierung die rund 50 Vorschläge der Taskforce Strafrecht im Ministerrat besprechen und dann präsentieren. Ob die Öffentlichkeit auch im Detail erfahren werde, was in der monatelang tagenden Arbeitsgruppe besprochen wurde? Im Büro der zuständigen Staatssekretärin Karoline Edtstadler hielt man sich das am Montag gegenüber dem STANDARD offen. (Oona Kroisleitner, Maria Sterkl, 11.2.2019)