Der Eingang zu einem Schlachthaus? Nein. Das Foto für die Arbeit "Box V" stammt vom Gelände der Weltausstellung in Sevilla (1992).

Foto: Lorenz Estermann

"Boat I" zeigt grafisch wirkende Betonmauern, die auf verschiedenen Blautönen wie im offenen Meer schwimmen.

Foto: Lorenz Estermann

Ausstellungsansicht von "Cardinal Directions" in der Galerie der Stadt Wels.

Foto: Lorenz Estermann

Die Szene sieht aus wie das Portal in eine versteckte Welt. Ist das der Eingang zu einer Kühlkammer oder das Vorzimmer eines Schlachthofs? Doch steril und sauber war dieser Ort einmal! Der Boden ist versifft und dunkel gefleckt, Fliesen sind abgefallen und liegen zerbrochen herum. Alle Mutmaßungen sind falsch. Künstler Lorenz Estermann hat das Foto in den heute abgesperrten Bauruinen der Weltausstellung von Sevilla (1992) aufgenommen.

Verfallene Utopien und rätselhafte Räume begegnen einem in Estermanns Schau Cardinal Directions in der Galerie der Stadt Wels auf Schritt und Tritt. Die menschenleeren Bauten sehen aus wie abgeschrammelte Wartehäuschen oder Badehütten. Man denkt beim Hinschauen immer wieder an die österreichische Provinz, nur gelegentlich an die weite Welt.

Selbst gezimmert und Billighochhaus

Recherchereisen mit der Kamera führen den 51-jährigen Linzer meist nach Osteuropa. In der Südslowakei hat er etwa die "schönsten kleinen Häuser gefunden, alle gebaut von Laien, lauter Unikate". Ebenso stößt er im Ex-Ostblock auf moderne Billighochhäuser.

Er streife herum, bevorzugt in der Früh, wenn die Morgennebel das Licht streuen, suche spannende Ausschnitte und drücke ab. So einfach beschreibt Estermann seine fotografische Jagd. Was er erbeutet, verändert der gebürtige Linzer am Computer nicht mehr.

Ausgedruckt und übermalt, schweben die Motive aber vor rosa, grün oder blau leuchtenden Hintergründen. Manchmal erinnern diese an Landschaften, ohne viel Aufhebens gemalt lassen sich darin die Pinselstriche verfolgen. Das löst die Fotos aus Ort und Zeit, gibt ihnen einen surrealen Touch.

Karton und Aluguss

Estermanns Interesse an Miniarchitekturen kommt vom Zeichnen her. Da entwickelte er eine Vorliebe für statische Motive, aus dem Bedarf an immer neuen Objekten sind Ende der 90er schließlich erste Kartonmodelle entstanden. Mittlerweile machen sie den Schwerpunkt seiner Arbeit aus.

Die aus Sperrholz und Pappe extravagant zusammengeschusterten Häuser haben auch Ableger aus gegossenem Aluminium. Farbbekleckst (als wären sie im Atelier im Weg gestanden) balancieren sie auf schmalen Stelzen, kragen waghalsig aus oder schrauben sich hoch. Obenauf tragen sie oft Bildschirme. So sehen missratene Vogelhäuschen oder Slums aus, Last Refuge heißen manche.

An der Architektur vermisst Estermann oft den Bezug zum Menschen. Leben möchte man in seiner Welt zwar auch nicht, man schaut sie aber mit großer Lust an. (Michael Wurmitzer, 21.2.2019)