Eisfische sind ein biologisches Faszinosum. Ihr Lebenraum ist extrem ungemütlich: Im Eismeer um den Südpol herrschen Wassertemperaturen von minus zwei Grad Celsius. Die meisten Fischarten würden das nicht überstehen, ihr Blut würde einfrieren und Eiskristalle würden die roten Blutkörperchen zum Platzen bringen.

Schwarzflossen-Eisfische sind extrem gut an das Leben bei tiefen Temperaturen angepasst.
Foto: Thomas Desvignes

Die monatelange Finsternis und dicken Eispanzer machen diese Umwelt auch nicht gerade freundlicher. Wie Eisfische dort trotzdem existieren können und welche genetischen Anpassungen sie dafür durchlaufen mussten, hat ein internationales Forscherteam nun genauer untersucht.

Transparentes Blut

In ihrer Studie im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution" haben Manfred Schartl von der Universität Würzburg und Hyun Park vom Korea Polar Research Institute gemeinsam mit Kollegen das Genom des antarktischen Schwarzflossen-Eisfisches (Chaenocephalus aceratus) sequenziert und dort nach speziellen Veränderungen gesucht, die für die einzigartige Physiologie verantwortlich sind. Dabei erhielten sie auch Einblicke in die Entwicklung dieses Fisches im Laufe der Evolution.

Dem Blut der Fische fehlt Hämoglobin, es ist daher durchsichtig.
Foto: Hyun Park

"Eisfisch-Populationen sind zum ersten Mal am Ende des Pliozäns aufgetreten, nachdem die Oberflächentemperaturen der Antarktis um 2,5 Grad Celsius abgesunken waren", sagte Schartl. Vor etwa 77 Millionen Jahren hatten sie sich von der Linie ihrer Vorfahren – den Stichlingen – wegentwickelt und immer besser an die Kälte angepasst.

Ursprünglich waren die Eisfische rotblütig, hatten aber keine sauerstoffbindenden Proteine, sogenannte Myoglobine, in ihrem Skelettmuskel. Außerdem lebten sie auf dem Meeresboden und besaßen keine Schwimmblase, die für Auftrieb sorgte. Als das Südpolarmeer abkühlte, öffneten sich neue ökologische Nischen, die Eisfische dank spezieller Anpassungen besetzen konnten.

Frostschutzmittel im System

Es ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, das Eisfischen das Überleben in großer Kälte ermöglicht. Der auffälligste darunter: Den Tieren fehlen die roten Blutkörperchen – und damit Hämoglobin; ihr Blut ist deshalb quasi durchsichtig. Warum leiden aber sie nicht an Sauerstoffarmut? Schartl: "Bei den tiefen Temperaturen ist die Sauerstoffsättigung des Meerwassers und damit auch aller Körperflüssigkeiten der Fische so hoch, dass der Sauerstofftransport durch das Hilfsmolekül Hämoglobin nicht mehr nötig ist."

Auch chronobiologische Anpassungen finden sich im Eisfisch-Erbgut.
Foto: John Postlethwait / University of Oregon

Gleichzeitig sei bei Eisfischen das Blutvolumen doppelt so groß wie das vergleichbarer Fischarten in gemäßigten Breiten, ihr Herz sei vergrößert und auch die Blutgefäße würden einen größeren Durchmesser aufweisen, so der Forscher. Auch die Zahl der Energielieferanten der Zellen – der Mitchondrien – sei bei Eisfischen erhöht.

Aber noch eine weitere evolutionäre Errungenschaft ermöglicht den Fischen das Überleben bei Minusgraden: Eisfische produzieren spezielle Eiweiße, die sie vor dem Kältetod bewahren. Während Frostschutz-Glykoproteine bei Fischlarven und erwachsenen Tieren die Eisbildung im Körper verhindern, umgeben eisresistente Eierchorion- oder Zona-pellucida-Proteine Embryonen und schützen diese vor dem Einfrieren.

Fehlende Regulatoren

Im Erbgut der Eisfische haben all diese Veränderungen sichtbare Spuren hinterlassen: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Anzahl der Gene, die am Schutz vor Eisschäden beteiligt sind, einschließlich der Gene, die Frostschutz-Glykoproteine kodieren, im Eisfisch-Genom stark expandiert sind", sagte Schartl. Auch die hohe Sauerstoffkonzentration sowohl in den kalten antarktischen Gewässern als auch im Körper der Eisfische hat zu Anpassungen im Erbgut geführt. Die Tiere besitzen vermehrt Gene für Enzyme, die Zellschäden durch Sauerstoffradikale eindämmen können.

Eine weitere Auffälligkeit im Eisfisch-Genom betrifft die Chronobiologie: Den Tieren fehlen einige wichtige Regulatoren, die bei anderen Arten den Tag-Nacht-Rhythmus steuern. Die Forscher vermuten, dass die Extreme der Winterdunkelheit und der langen antarktischen Sommer den Nutzen einiger dieser Regulatoren und damit auch den evolutionären Druck, sie zu behalten, verringert haben könnten. Um diese Frage endgültig zu beantworten, seien jedoch Verhaltensstudien an antarktischen Eisfischen und anderen verwandten Arten notwendig, so die Wissenschafter. (red, APA, 4.3.2019)