Aus Knochenfunden wie diesen versuchen Forscher eine erst in jüngster Vergangenheit verloren gegangene Säugetierwelt zu rekonstruieren.
Foto: New Mexico Museum of Natural History

London – Wie viele Menschen die beiden großen Nagetiere Capromys pilorides lewisi und Geocapromys caymanensis einst auf den Cayman Islands gesehen haben, ist nicht überliefert. Der englische Seefahrer Francis Drake, der die karibischen Inseln im Jahr 1586 ansteuerte, berichtete jedenfalls von "Coneys" genannten katzengroßen Tieren, die auf den Inseln lebten. Das könnte laut der Zoological Society of London (ZSL) die einzige Dokumentation dieser Tiere sein, die vermutlich erst im 18. Jahrhundert ausgestorben sind.

Ein internationales Forscherteam unter Leitung der ZSL hat sich Fossilien karibischer Tiere angesehen, die in verschiedenen Museen aufbewahrt werden. Dabei stießen sie auch auf die Knochen der beiden genannten Nagetierarten sowie eines spitzmausähnlichen Insektenfressers der Spezies Nesophontes hemicingulus. Die zwischen den 1930er und 1990er Jahren aus Höhlen und Dolinen geborgenen Säugetierknochen dürften laut den Forschern den Verdauungsapparat von Krokodilen passiert haben.

Eine der wenigen Überlebenden

Nächster Verwandter der beiden Nager ist laut den Forschern die heute noch auf Kuba vorkommende Hutiaconga oder Kuba-Baumratte, die 60 Zentimeter lang werden kann, wozu noch ein bis zu 30 Zentimeter langer Schwanz kommt. Vermutlich sind die Vorfahren der Cayman-Islands-Nager auf Flößen aus treibendem Pflanzenmaterial von Insel zu Insel gelangt.

Die Hutiaconga ist zugleich einer der wenigen Überlebenden einer stillen Aussterbewelle, die sich in historischer Zeit auf den Inseln der Karibik abgespielt hat. Als die Inseln zunehmend von Menschen besiedelt wurden und diese Katzen, Hunde und Ratten mitbrachten, verschwanden viele einheimische Arten: große Nagetiere ebenso wie Affen. Große bodenbewohnende Faultiere – wenn auch nicht solche Riesen wie ihre eiszeitlichen Verwandten auf dem Festland – waren bereits einige Jahrtausende vor der Ankunft der Europäer der ersten menschlichen Besiedlungswelle zum Opfer gefallen.

Samuel Turvey von der ZSL betont die Rolle des Menschen bei den Aussterbewellen in der Karibik. Die bisherigen Funde seien nur die Spitze des Eisbergs – die Inselwelt habe eine einzigartige und bis heute kaum bekannte Säugetierwelt beheimatet, von der fast nichts geblieben sei. (jdo, 6. 3. 2019)

Die Hutiaconga hat geschafft, was vielen ihrer Verwandten nicht vergönnt war: Sie hat die Ankunft des Menschen bis heute überlebt.
Foto: Nancy Albury