Die vergangenen Jahre waren modisch verwirrend. Nie konnte man sich sicher sein: Waren die unauffällig gekleideten Leute auf der Straße unabsichtlich cool oder absichtlich uncool? 2013 riefen die New Yorker Trendprognostiker von K Hole die Ära des Normcores aus.
Plötzlich trugen auch stilbewusste Menschen Kleidung, die aussah, als hätten die Träger noch nie etwas von Mode oder ihren Codes gehört. Sie haben Zugehörigkeitsmerkmale verwischt, Normalität selbstgefällig überhöht. Der "Nichtstil" wurde zum Must erhoben. Aber wie so oft war auch die Halbwertszeit dieses Trends nicht allzu lang.
Und so wird es in diesem Sommer wieder bunt und exzentrisch! Wer nach der modischen Fadesse Farben und Muster herbeisehnt, ist etwa bei Gucci bestens aufgehoben. Auch diese Saison zeigt das italienische Label, wie man opulente Rüschen in Neonfarben, Karos, Streifen, tierischen und floralen Prints miteinander kombiniert.
Versace greift auf ähnliche Zutaten zurück. Nicolas Ghesquière wiederum ließ sich von der Ästhetik der Designgruppe Memphis inspirieren und mixt für die neue Louis-Vuitton-Kollektion verschiedene 80er-Jahre-Muster.
Achtung, Muster!
"Muster bedeuten Aufmerksamkeit", sagt Barbara Vinken, Modetheoretikerin und Sprachwissenschafterin. Wie die Zeichnung von Federn, Fell, Haut oder Blättern in der Natur bewirkt gemusterte Kleidung des Menschen Anziehung oder Abwehr.
Vinken nennt als Beispiel die unterschiedlichen Karos der schottischen Kilts, anhand derer die Clanzugehörigkeit des Trägers erkennbar ist. Oder Streifen, die früher gesellschaftliche Außenseiter markierten wie Sträflinge oder Seeleute.
In der traditionellen usbekischen Bekleidung werden Muster und Ornamente eingesetzt, um unwillkommene Blicke weg von den Augen und direkt auf die stark strahlende Kleidung zu lenken, erklärt Priska Morger, die künstlerische Leiterin des Modedesign-Instituts an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel.
Für ihr Geschmacksempfinden ist es bedauerlich, dass die usbekische Textiltradition zusehends den Modecodes des westlichen Kulturkreises weicht.
Vinken erklärt, dass zu diesen Codes etwa jene althergebrachte Regel für klassische Herrenanzüge gehört, die besagt, dass etwaige Muster so dezent sein müssen, dass sie erst auf drei Schritte Distanz zum Träger sichtbar sein dürfen. Auffällige Muster sind also ein Brechen mit Konventionen.
"Protestbewegungen haben die Nase voll von bürgerlichen Normen. Das manifestiert sich auch auf textiler Ebene", sagt Barbara Vinken und führt die 68er-Bewegung ins Treffen. Die Flower-Power spiegelte sich in Kleidung mit bunten, floralen Mustern wider. Auch heute erleben wir politisch brisante Zeiten, in denen wieder mehr demonstriert wird.
Menschen verschaffen sich Gehör – auch durch auffällige Kleidung, wie die Gilets Jaunes (Gelbwesten) zeigen. In diesem Fall wurde ihre charakteristische Bekleidung sogar zum Namensgeber der Protestbewegung.
Alles geht!
Die Gelbwesten zeigen auch, dass auffällige Kleidung nicht gleichzeitig Individualität bedeutet. Nicht umsonst ist es sprachlich vom Muster nicht weit zur Musterung, dem Begriff aus dem Militär, wo Uniformierung eine Selbstverständlichkeit ist, meint Priska Morger.
"Man ist von seinen Eltern und der Gesellschaft geprägt, sucht sich, oft über Social Media wie Instagram oder eigene Hipster-Communitys, und übernimmt deren Ästhetiken." Das führt zu einer Gleichschaltung. Morger fehlt es an Originalität. Man solle sich modisch mehr trauen, auch abseits von harmonischen Farbkombinationen mit Musterunterschieden und -gegensätzen spielen.
Mit unorthodoxen Arrangements von Mustern tun sich manche aber schwer, erzählt Markus Strasser, Geschäftsführer des Wiener Concept-Stores Park. "Vor allem bei floralen Prints haben Kundinnen Angst, sie würden sie alt wirken lassen. Grafische Muster sind oft einfacher."
Für Strasser dürfen sich Farben und Muster gern auch schlagen. "Sonst wird's schnell spießig", sagt er. Auch Barbara Vinken plädiert dafür, Kombinationsregeln über Bord zu werfen und Kleidercodes dissonanter gegeneinanderzuführen, denn "Mode soll schließlich Spaß machen" – zumindest bis Normcore irgendwann ein Revival feiert. (Michael Steingruber, RONDO, 4.4.2019)