Die Verknüpfung von Geschichte, Territorien und Geografien ist in Sammy Balojis künstlerischen Forschungsprojekten zentral: "The Album" (2015).

Foto: Sammy Baloji

Die Schwere des Materials sieht man Karin Reichmuths Arbeiten nie an.

Foto: Karin Reichmuth

Den Bildhauerkollegen Michael Beutler interessiert Temporäres und Prozesshaftes.

Foto: Ricard Estay

Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? – so heißt eines der berühmtesten Bilder von Paul Gauguin. Eingeteilt in die Themen Geburt, Leben und Tod ging es dem französischen Postimpressionisten um die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz.

"Wo stehen wir?" lautet das davon abgeleitete Motto der diesjährigen Sommerakademie. Allerdings geht man nicht von etwas ewig Menschlichem aus, sondern stellt mit der leichten Abwandlung – auch in Bezug auf das Menschenbild – die politische Haltung ins Zentrum. Für Hildegund Amanshauser, seit 2009 Direktorin der Institution, ist die Haltung in der gesellschaftspolitischen Situation mit Klimawandel, Migration, dem Auseinanderklaffen von Arm und Reich und einem überall zu beobachtenden Rechtsruck heute nötiger denn je.

Angeboten werden insgesamt 18 Kurse, die nicht nur sämtliche künstlerische Techniken umfassen, sondern sich auch mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen: Ekaterina Shapiro-Obermair stellt etwa unterschiedlichste Drucktechniken (u. a. Siebdruck und Radierung) vor, und Jakob Kolding befasst sich mit der Collage – beides Techniken, die von jeher für politische Aussagen genutzt werden.

Davon ausgehend, dass die Vergangenheit die Gegenwart prägt, wird heuer zudem der Frage "Woher kommen wir?" viel Platz eingeräumt: "Sammeln und Jagen" heißt einer der avanciertesten Kurse. Er wird von dem kongolesischen Künstler Sammy Baloji gemeinsam mit der deutschen Theoretikerin und Kuratorin Lotte Arndt geleitet.

Transnationale Perspektiven

In Balojis vielbeachteten Ausstellungen der letzten Jahre setzte sich der in Brüssel lebende Künstler immer wieder mit den Objekten in Museumssammlungen auseinander: Baloji thematisiert ihre Materialität, aber auch die den Artefakten zugrundeliegenden Handelswege, die oft eine postkoloniale Geschichte freilegen. In dem zweiwöchigen Kurs soll ein in Salzburg gefundenes Objekt oder Material als Ausgangspunkt für ein ortsspezifisches Forschungsprojekt dienen: "Willkommen sind alle mit einem Interesse an der kolonialen Provenienz von Sammlungsobjekten. Es geht um das Vertiefen einer transnationalen Perspektive, aber auch um das Erkunden von Landschaften, die Träger von Geschichte(n) sind."

Neben Kunstschaffenden will man Kuratoren, Kunsthistoriker, Anthropologen und auch Theoretiker ansprechen. Aber: "Nein, die Kenntnis postkolonialer Theorie ist keine Voraussetzung. Wichtig ist ein genuines Interesse an der Verbindung von Geschichten, Territorien und Geografien", spezifiziert Baloji. Ein thematischer Ausgangspunkt ist für ihn Salzburgs Bergbaugeschichte, die er mit jener seines Geburtsorts verknüpft: "Obwohl die Bedingungen in Österreich und in Lubumbashi kaum zu vergleichen sind, ist diese Gemeinsamkeit ein guter Start, um die globalen Verflechtungen lokaler Ökonomien zu reflektieren", so der Künstler, der in seinem Kurs auch die akuten Fragen rund um die Restitution von Artefakten bespricht.

Tief in den Berg hinein

Während Baloji die globalen Zusammenhänge vertieft, gräbt Michael Beutler gleich vertikal in den Berg hinein: "Das Erstaunliche an der Festung ist, dass sie – obwohl touristisch überlaufen – ein Ort außergewöhnlicher Konzentration ist", konstatiert der deutsche Installationskünstler. Sein Kurs stellt unter dem Titel "Im Konglomerat" die Produktionsstätte selbst ins Zentrum: "Ein Konglomerat ist ein zum überwiegenden Teil aus Kies oder Geröll bestehendes Sedimentgestein, oder es ist ein Gemisch verschiedener Bestandteile, die zusammen etwas anderes ergeben."

Als Ausgangsmaterial dienen neben gefundenen Objekten auch Überbleibsel früherer Kurse: "Neben allerlei alltäglichem Schrott finden sich in den Kammern der Festung auch ein paar Halbzeuge, Verpackungen und kuriosere Objekte, die immer dortgeblieben sind." Wichtig ist Beutler, dass die Studierenden die Materialauswahl und -kombination reflektieren: "Lässt sich das Materialspektrum eines Werkes erweitern oder gar austauschen? Und inwieweit folgt daraus eine veränderte Lesart des Werkes?" Das sind einige der Fragen, wobei es Beutler immer auch um die soziale Dimension eines Werkstoffs geht.

Dass der Werkstoff irgendwann zu den Studierenden spricht, ist Karin Reichmuth wichtig: "Listen to the Stone" heißt der vierwöchige Kurs der Bildhauerin im Steinbruch am Untersberg. Über Jahrhunderte wurde dort der sogenannte "Untersberger Marmor" (eigentlich ein Kalkstein mit hoher Polierfähigkeit) abgebaut. Mit seinem Höhlenreichtum ist er aber auch Ausgangspunkt vieler Sagen und Mythen.

Vier Wochen im Steinbruch

Die Teilnehmenden werden vier Wochen lang vor Ort wohnen und arbeiten und auf diese Weise eine Vorstellung von den Dimensionen und Abläufen der Steingewinnung und -verarbeitung – in Vergangenheit wie Gegenwart – bekommen. Als Lehrender geht es Reichmuth darum, die Zusammenführung von zeitgenössischen Fragestellungen mit der skulpturalen Arbeit mit Stein zu vermitteln: Die Studierenden sollen "Licht, Farbe und Textur dieses harten und schweren Mediums" erkunden; sie sollen aber auch die Prozesse verstehen, die zu zeitgemäßen künstlerischen Entscheidungen führen.

In ihrer eigenen Arbeit bringt die sowohl in der Schweiz als auch im italienischen Carrara lebende Künstlerin das außergewöhnliche Material Marmor mit alltäglichen Dingen zusammen: Ein Büstenhalter liegt zum Beispiel wie lässig hingeschmissen auf einer Ablage. Oder ein aus Marmor gehauenes Kleid, das die vorgestellte Leichtigkeit des Materials konterkariert. Dass sie das traditionell männliche Medium aus einer dezidiert weiblichen Perspektive betrachtet, wird dem Titel des Kurses entsprechend sicher zu guten "Gesprächen" führen: zwischen der Bildhauerin, den Kursteilnehmern – und natürlich dem Stein. (Christa Benzer, 6.4.2019)