Eine militärische Offensive auf eine Stadt zu beginnen, in der der Uno-Generalsekretär soeben eine "Nationale Konferenz" für das Land vorbereitet: Das ist eine neue dramatische Episode in der Folgegeschichte des 2011 sogenannten Arabischen Frühlings. Wobei der 75-jährige General Khalifa Haftar – der, wie er sagt, die libysche Hauptstadt Tripolis von "Terroristen" befreien will – jedoch nicht losmarschiert ist, obwohl, sondern gerade weil das neue Dialogformat am 14. April erstmals zusammentreten sollte.

Haftar sah sich und die Seinen nicht ihrer Stärke entsprechend repräsentiert. Für ihn ist der Uno-Zugang einer gleichberechtigten Diskussion über die Zukunft des seit 2014 mit zwei Regierungen und zwei Parlamenten gespaltenen Libyens nicht akzeptabel. Erstens fordert er, dass die Zusammensetzung der Konferenz reflektiert, dass keine einzelne andere Kraft in Libyen so viel Gebiet kontrolliert wie seine Nationale Libysche Armee (NLA) – von deren Namen man sich nicht täuschen lassen sollte, auch sie besteht aus Milizen. Und zweitens sieht er sich wohl tatsächlich mit der Mission betraut, Libyen von Islamisten und Jihadisten zu säubern und wieder Ordnung herzustellen.

In dieser Meinung wird Haftar von seinen arabischen Partnern bestärkt, allen voran den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Nicht umsonst wird er als der "libysche Sisi" paraphrasiert, nach dem ägyptischen Präsidenten und Muslimbrüderjäger Abdelfattah al-Sisi. Dass dieser bis jetzt, also in den fünfeinhalb Jahren nach dem Sturz des Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi, den Krieg mit den Islamisten auf dem Sinai nicht beenden konnte, trübt nicht die Gewissheit seiner Anhänger, dass auch Libyen einen "starken Mann" braucht.

Und die internationale Gemeinschaft hat Haftar insofern bestärkt, als sie seine seit Jahresbeginn erfolgte Übernahme der dritten großen Region Libyens neben Tripolitanien und der Cyrenaika, Fezzan im Süden, nicht einmal kommentiert hat. Da steckt natürlich auch dahinter, dass man es ja ganz gerne sieht, wenn das größte Ölfeld Libyens, al-Sharara, von einer stabilen Kraft kontrolliert wird. Aber Kritik fiel auch deshalb schwer, weil es Haftar gelungen ist, den Süden so gut wie kampflos auf dem Weg über Arrangements mit dortigen lokalen Gruppen zu übernehmen.

Die gleiche Fraktionierung der Milizenlandschaft gibt es in Westlibyen und noch dazu eine vom Chaos erschöpfte Bevölkerung, von der Haftar offenbar erwartet hatte, dass sie ihn willkommen heißen würde. Aber bisher ist ihm nicht gelungen, in die fragile Einheit der Milizen eine Bresche zu schlagen. Und je länger die Situation andauert, desto unwahrscheinlicher wird das. Er hat wohl auch die ideologische Ablehnung seiner Person unterschätzt.

Alle Experten stimmen darin überein, dass Haftar militärisch nicht stark genug ist, Tripolis gegen den Widerstand aller einzunehmen und zu halten. Aber zurück kann Haftar nach seinem Selbstverständnis auch nicht: Er würde als Verlierer in die "Nationale Konferenz" gehen. Und so ist vielleicht schon der Zug in Richtung einer Auseinandersetzung abgefahren, die, so fürchten viele, die schlimmste seit dem Krieg 2011 werden könnte. Was das nicht nur für Libyer und Libyerinnen, sondern auch die dort festsitzenden Migranten und Flüchtlinge bedeuten wird, kann man sich ausmalen. (Gudrun Harrer, 8.4.2019)