Wien – Ein Weißbuch zur "Zukunft der Gesundheitsversorgung" will der Verein Praevenire erarbeiten und im Frühling 2020 der Regierung übergeben. Das kündigte der Präsident der Initiative, der ehemalige ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling, am Dienstag in einer Pressekonferenz in Wien an. Zur Entwicklung eines "ganzheitlichen Ansatzes" will man alle Stakeholder an einen Tisch bringen.

Altbekannte Problemfelder des österreichischen Gesundheitssystems – "undurchschaubare Strukturen, zu viele Finanzströme, zu wenig Eigenverantwortung bei Patienten und mangelnde Prävention" – sollen analysiert und ihnen entgegengewirkt werden. Es gehe um die Fragen "Was muss man am System ändern, was tut sich in der Wissenschaft, was kann man zur Vorsorge tun und welche digitalen Möglichkeiten gibt es?", umschrieb Schelling das Programm der "Praevenire Gesundheitstage", die heuer von 15. bis 17. Mai im Stift Seitenstetten in Niederösterreich stattfinden. Am 13. Mai findet ein Workshop zu einem weiteren Schwerpunktthema, "Digital Health", statt. Nicht nur um eine "Systemdiskussion" soll es gehen, sondern "um die Frage, wie die Versorgung nachhaltig gesichert wird – und das unter Beachtung der beiden großen Kostentreiber steigende Lebenserwartung und großer medizinischer Fortschritt."

Strategien erarbeiten

Im Rahmen der Gesundheitstage sollen zu diesen "Herausforderungen des Gesundheitssystems" zahlreiche Experten befragt werden, sagte Schelling. Behandeln will man auch Fragen zu Thema Pflege und Primärversorgungszentren. Die Ergebnisse sollen in das "Weißbuch Gesundheitsversorgung" einfließen. "Dort, wo es Fortschritt gibt, soll er den Menschen zur Verfügung stehen", so der frühere Präsident des Hauptverbands."Jetzt werden neue Verträge aufgesetzt, das ist ein Zeitfenster, das man nutzen sollte, um sich neu aufzustellen. Wir neigen in Österreich dazu, uns mit Strukturen zu beschäftigen, aber nicht mit Strategien." 2020 solle dann die Politik entscheiden, was mit dem Expertenpapier passiert. Dort würden die Weichen gestellt.

Gehe es bei der Sozialversicherungsreform "klar um Institutionenorientierung", stehe beim Gesamtvertrag Primärversorgungszentren die Versorgungsprofessionalität im Fokus, meinte der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger. "Pro Kopf und Jahr geben wir laut einer EU-Studie 3.800 Euro für die Gesundheit aus, 1.000 Euro mehr als der EU-Durchschnitt", so Bachinger. 18 Prozent davon seien private Ausgaben. In Österreich sei das Gesundheitssystem viel zu sehr auf Behandlung und viel zu wenig auf Prävention ausgerichtet. Die digitale Herausforderungen an das Gesundheitssystem umfassen vor allem Mobilität und Wissensmanagement. Im Gegensatz zu starren Strukturen sollen mobile Lösungen in der Gesundheitsversorgung an Bedeutung gewinnen. "Digital vor ambulant vor stationär, das muss der Leitspruch für die Versorgungskette der Zukunft sein."

Digitalisierung nützen

Obwohl es die Digitalisierung im Gesundheitswesen einige Kontroversen – wie Unsicherheiten in der Bevölkerung – mit sich bringe, gibt sie laut Reinhard Riedl, Leiter des Instituts Digital Enabling an der Berner Fachhochschule, den Patienten die Möglichkeit, ihre Gesundheitsressourcen besser zu pflegen und zu stärken. Ärzte müssten sich digitale Werkzeuge aneignen, um damit arbeiten zu können. Digital Health könne zudem zur Überwindung der systemischen Probleme im Gesundheitswesen beitragen, so Riedl.

Für Seitenstetten wünschte sich Schelling eine analytische und "offene Diskussion", befreit von Strukturen. "Wenn jeder bereit ist, seine Beharrungspolitik aufzugeben, wird was weitergehen." Aufgabe solle auch sein, auf die Geschwindigkeit des medizinischen und technischen Fortschritts hinzuweisen. "Wir wollen Schub hineinbringen. Viele Dinge diskutieren wir seit Jahrzehnten." (APA, 9.4.2019)