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El Lissitzky: "Proun 93", um 1923

Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)

Wassily Kandinskys Werke sind in Dresden aktuell und bis 2. Juni nicht nur in der Ausstellung "Zukunftsräume" im Albertinum zu sehen ("Schweres Rot, 1924 Öl ). Im Kupferstichkabinett widmet sich bis 12. Mai eine kleine Schau – "Tendenz Abstraktion. Kandinsky und der Moderne um 1910" - seinem druckgrafischen Schaffen.

Foto: Kunstmuseum Basel

Weder karg noch weiß waren die Räume. Ganz entgegen den Bauhaus-Klischees waren die Wände in gelbe, graue, bläuliche und andere gebrochene Töne getaucht. "So erlesen ist die Harmonie und so feinfühlig die Anordnung", sollte die amerikanische Malerin und Mäzenin Katharine S. Dreier 1926 vom subtilen Raumerlebnis in der Dresdner Galerie Neue Kunst Fides schwärmen.

Ja, sie war so begeistert, dass sie die Stadt sogar für eines der Zentren für die Vermittlung der abstrakt-konstruktiven Avantgarde in Deutschland hielt. Ein schönes Kompliment für das als konservativ verschriene Dresden; tatsächlich war es aber nur ein kleiner Zirkel, der für das visionär Neue, für eine Ästhetik der Zukunft entbrannt war.

El Lissitzkys legendärer Raum für abstrakte Kunst, realisiert für die Internationale Kunstausstellung Dresden 1926.
Foto: Alexander Paul Walter, Repro: Andreas Diesend

Okay, Dresden hatte die expressionistische Künstlergruppe Brücke hervorgebracht, an der Kunstakademie unterrichtete Oskar Kokoschka, später Otto Dix, aber Hotspot der Abstraktion war die Stadt wirklich nicht. An Orten mit etablierten gesellschaftlichen Strukturen und daher stabilen Verhältnissen ist der Druck zur Erneuerung niedriger, lautet eine These.

Dass dennoch wichtige Impulse von Dresden ausgingen, dort Begeisterte für das jedem Illusionismus Entsagende wirkten, Förderer und Sammler der Kunst des Bauhauses, des russischen Konstruktivismus und des niederländischen De Stijl eine Bühne boten, das gelingt einer Ausstellung im Albertinum ganz wunderbar zu erzählen: Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde.

Displays für die neue Kunst

Eine dieser Zukunftsbühnen war die bereits erwähnte Neue Kunst Fides von Rudolf Probst. Als Probst mit seiner Galerie eine neue Adresse bezog, beauftragte er Bauhausmeister Hinnerk Scheper mit der Gestaltung. Dieser schuf eine Innovation: ein variables System mit roll- und schiebbaren Wänden, das die Möglichkeit bot, für jede Präsentation farblich passende Hintergründe zu wählen: für die Werke von Wassily Kandinsky, Paul Klee oder Lyonel Feininger etwa. Nicht nur auf Kandinsky, der hier seine erste abstrakte Arbeit verkaufte, reagierte man in Dresden begeistert.

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Piet Mondrian: "Tableau Nr. 1" (1921-25)
Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, Foto: Robert Bayer

Piet Mondrians "Neoplastizismus" und El Lissitzkys geometrische Kompositionen feierten hingegen 1925 und 1926 an einem anderen wichtigen Dresdner Ort, der Kunstausstellung Kühl & Kühn, beachtliche kommerzielle Erfolge. Für Mondrian, dessen Arbeit zu jener Zeit gesellschaftlich noch nicht anerkannt war, war das besonders erfreulich: Von zwölf ausgestellten Gemälden verkauften sich gleich fünf. Das war für den in Paris weilenden Künstler sensationell.

Es wäre müßig, dieses spannende Dresdner Kapitel als reine Ausstellung von Meisterwerken zu präsentieren. Und so reihen sich hier eben nicht 180 Werke (darunter Leihgaben aus der Tretjakow-Galerie in Moskau oder dem Centre Pompidou in Paris) nach berühmten Künstlern. Vielmehr haben die drei Kuratoren (Heike Biedermann, Birgit Dalbajewa, Mathias Wagner) in dem langen Saal des Albertinums für diese Zentren des Zeitgeists Inseln geschaffen, statt Trennwände einzuziehen.

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Spiel mit architektonischen Elementen: Einblick in die Ausstellung "Zukunftsräume" im Albertinum in Dresden.
Foto: AP /Jens Meyer

Historische Fotos dokumentieren die damals neue, moderne Hängung und die Raumgestaltung mit farbigen Wandflächen sowie Balken. Als Zitat tauchen einige Designelemente auch in der aktuellen Präsentation auf. Obendrein imitiert man mit konstruktiv-abstrakten Originalen, darunter sogar identen Werken, Ausstellungseinblicke der 1920er. Ein gelungenes Spiel mit historischen Ansichten, das leicht statt zwanghaft wirkt.

So wird die Ausstellung über die in Dresden populären Protagonisten der Avantgarde und ihre Förderer auch eine Ausstellung über das Ausstellen selbst, über eine neue Art des Zeigens, also das, was man heute Display nennt. Auch Ida Bienert, eine der schillerndsten Dresdner Sammlerinnen, machte sich Gedanken, wie die einem völlig neuen Geist verpflichtete Kunst in ihrer Villa, einem Gründerzeitbau, präsentiert werden könnte.

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Piet Mondrians Ideen für das Damenzimmer der Sammlerin Ida Bienert inspirierten Heimo Zobernig (koop. m. Eric Kläring) für sein begehbares Kabinett ("Piet Mondrian. Eine räumliche Aneignung").
Foto: Isometrischer Plan der Raum-Installation für den Lichthof des Albertinum

Bienert, Tochter eines Textilindustriellen, wurde von ihrer Familie mit einem der wohlhabendsten Männer Sachsens, dem Erbe eines Mühlen-Imperiums, verheiratet. Sie veranstaltete in der Familienvilla einen offenen Salon und sammelte – zunächst Impressionisten wie Monet, ab 1920 dann Abstrakt-Konstruktives. Mondrian sollte ihr Damenzimmer gestalten, allein, zur Realisierung der Entwürfe kam es nie. Bis jetzt, könnte man sagen: Denn der österreichische Künstler Heimo Zobernig hat sich für eine Intervention das typische Raster der Entwürfe angeeignet und sie in einen begehbaren Kubus für den Lichthof des Museums verwandelt.

Avantgarde und Gegenwind

Bienert sah in der Kunst von Mondrian und Lissitzky das "neue Raumgefühl" der Bauhaus-Architektur verlebendigt: Ganze 57 Arbeiten von Klee und 14 von Kandinsky zählte ihre Kollektion. Noch 1933 erschien eine Dokumentation der Sammlung, also in jenem Jahr, in dem die erste Ausstellung "entarteter Kunst" stattfand – und zwar in Dresden. Der völkische Gegenwind war in der Stadt an der Elbe stark. Dennoch fanden in Dresden wichtige Ereignisse wie 1926 die Internationale Kunstausstellung statt. Mit fast 1000 Kunstwerken und 462 Künstlern aus 19 Nationen war sie wohl die bedeutendste Großausstellung der Weimarer Republik.

Und ein Teil dieses Ereignisses war – was gerne vergessen wird – Lissitzkys Kabinett der Abstrakten, eine Revolution im Ausstellungsdesign, das mit verschiedenen Kniffen den Betrachter aus seiner Passivität locken sollte. El Lissitzkys Konzept sah vor, die Wahrnehmung von Bildern durch das Tauchen in kaltes oder warmes Licht zu verändern. Lamellenwände variierten je nach Perspektive die Farbe der Bildhintergründe. Und mittels verschiebbarer Lochbleche konnte man einzelne Leinwände, zugunsten der konzentrierten Betrachtung anderer, ausblenden. Der Nachbau von Lissitzkys wunderbarem "Raum für konstruktive Kunst" ist ein Glanzlicht dieser schönen, konzentrierten Zeitreise. (Anne Katrin Feßler aus Dresden, 23. 4. 2019)

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Nachbau von El Lissitzkys "Raum für konstruktive Kunst" für die Ausstellung "Zukunftsräume".
Foto: AP /Jens Meyer