Stahl gehört zu den wichtigsten Exportgütern Österreichs.

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Wien – Österreich profitiert laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung stark vom EU-Binnenmarkt. "Für Länder wie beispielsweise die Niederlande oder Österreich ist der Binnenmarkt Gold wert, denn sie verfügen über wettbewerbsfähige Branchen, sind aber aufgrund kleiner Inlandsmärkte vom Export abhängig", so Studienmitautor Dominic Ponattu.

"Die größten Gewinner sind kleine Länder, die viel Handel treiben und besonders international ausgerichtet sind", so der Experte in einer Pressemitteilung zur Studie über die ökonomischen Effekte des EU-Binnenmarktes in Europas Ländern und Regionen.

Der Binnenmarkt steigert in Österreich demnach das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf um 1.583 Euro jährlich. Im EU-Durchschnitt sind es 840 Euro, in Deutschland 1.046 Euro. Insgesamt beträgt der aggregierte Zuwachs in Österreich rund 13,8 Milliarden Euro. Deutschland erzielt mit 86 Milliarden Euro pro Jahr den höchsten Zuwachs.

"Zentrum schlägt Peripherie"

"Für Österreich ist Europa der wichtigste Handelspartner, allein ein Drittel aller Exporte geht zum Beispiel nach Deutschland", so Ponattu in einem Statement zur APA. Für andere große Länder in Europa sei der Binnenmarkt ebenfalls wichtig – aber für einige große Volkswirtschaften seien Handelspartner außerhalb der EU noch wichtiger. Für Deutschland etwa seien die USA und China die wichtigsten Handelspartner, die Vorteile durch den Binnenmarkt wirkten sich hier also weniger aus. Insgesamt lasse sich festhalten: "Je wichtiger Europa als Handelspartner ist, desto höher sind die Einkommensgewinne durch den Binnenmarkt."

Europaweit zeigten sich zwei wesentliche Trends, heißt es in der Pressemitteilung. Zum einen seien es nicht die größten Volkswirtschaften, die am stärksten profitierten, sondern vor allem verhältnismäßig kleine, aber exportstarke Nationen. Zum anderen gelte: "Zentrum schlägt Peripherie."

Bulgarien und Rumänien profitieren am wenigsten

Zu den Regionen mit den höchsten Zuwächsen zählten beispielsweise Zürich (3.592 Euro), London (2.700) und Brüssel (2.472 Euro). In Österreich schneiden Vorarlberg (2.062 Euro) und Salzburg (2.038 Euro) am besten ab, gefolgt von Tirol (1.937 Euro), Wien (1.711 Euro), Oberösterreich (1.688 Euro), Steiermark (1.427 Euro), Kärnten (1.414 Euro), Niederösterreich (1.290 Euro) und Burgenland (1.083 Euro). Die geringsten Wohlfahrtsgewinne weisen Regionen in Ländern wie Bulgarien, Griechenland und Rumänien auf, mit rund 120 bis maximal 500 Euro.

Die größten positiven Effekte beim Pro-Kopf-BIP könnten die Schweiz (2.900 Euro), Luxemburg (2.800 Euro) und Irland (1.900 Euro) verbuchen, aber neben Österreich seien auch Belgien und die Niederlande unter den Top-Profiteuren. Die Zuwächse in Südeuropa fielen dagegen aufgrund der geringeren Wettbewerbsfähigkeit niedriger aus: In Spanien seien es beispielsweise 590 Euro pro Kopf und Jahr, in Portugal 500 Euro und in Griechenland 400 Euro, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie "Ökonomische Effekte des EU-Binnenmarktes in Europas Ländern und Regionen". Am geringsten sind die Einkommensgewinne in Bulgarien (190 Euro) und Rumänien (240 Euro).

Binnenmarkt hat noch Potenzial

"Der EU-Binnenmarkt ist einer der größten Treiber für unseren Wohlstand und wirkt ähnlich wie die Marktwirtschaft: Nicht jeder profitiert gleichermaßen, aber alle gewinnen", so Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung.

Auf regionaler Ebene gehörten vor allem industriestarke und städtisch geprägte Regionen zu den Gewinnern, heißt es in der Pressemitteilung. Diese seien auch von einem starken Fachkräftezuzug geprägt, denn der Wegfall der Grenzen fördere die EU-weite Ansiedlung von Branchen in einzelnen Regionen. Städte wie Berlin profitieren von einer wachsenden Start-up-Szene, London und Zürich von der Finanzwirtschaft.

Der Binnenmarkt berge Potenzial für weitere Wohlstandsgewinne. Das betreffe vor allem den Handel mit Dienstleistungen. Mehr gemeinsame Standards und einheitliche Wettbewerbsregeln könnten den Handel mit Dienstleistungen erhöhen. Gleichzeitig sollten angehängte EU-Regionen durch Investitionen in ihre digitale Infrastruktur und Innovationsfähigkeit gefördert werden.

Brexit wird Regionen im Süden Englands treffen

In Großbritannien hätten einige Regionen, die am stärksten vom Binnenmarkt profitieren, für den Brexit gestimmt. Dazu gehöre etwa die Region Kent, in der die Einkommensgewinne durch den Binnenmarkt mit 2,2 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung am höchsten seien. Das Gefälle zwischen den Regionen sei besonders hoch. Im Süden profitierten viele Regionen stark vom Binnenmarkt, etwa London (2.700 Euro pro Kopf) und der Großraum Oxford (985 Euro), im Norden liege man dagegen mit rund 500 bis 600 Euro deutlich unter dem Landesdurchschnitt. "Ein vollständiger Austritt der Briten aus dem Binnenmarkt würde neben dem Großraum London vor allem industrie- und innovationsstarke Regionen im Süden des Landes hart treffen", so Ponattu.

Innerhalb Deutschlands gehören Regionen mit starker Industrie und hoher Exportorientierung zu den größten Gewinnern, etwa Oberbayern (1.489 Euro), Hamburg (1.478 Euro) und Stuttgart (1.304 Euro). In Italien zeigen sich laut Studie die oft thematisierten strukturellen Unterschiede zwischen dem Norden und Süden. Der strukturschwache Mezzogiorno verbuche mit rund 300 bis 500 Euro deutlich geringere Gewinne als der Norden mit Zuwächsen von bis zu 1.370 Euro (Region Bozen). (APA, 8.5.2019)