Der Sozialdemokrat Frans Timmermans (hinten) und Manfred Weber von der EVP wollen Kommissionspräsident werden.

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Margrethe Vestager (rechts oben) ist die Hoffnung der Liberalen.

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Das politische Schicksal der EU trieb die Wähler in praktisch allen 28 Mitgliedsländern bei den Wahlen 2019 besonders um. Das zeigte sich am Sonntag, dem letzten Wahltag, bereits um die Mittagszeit, als im Election Night Center in Brüssel die allerersten konkreten Trends eintrudelten.

Gegen Mitternacht jubelten die Parlamentarier über die stärkste Wahlbeteiligung seit dem Jahr 1997: Knapp 50 Prozent konnten vermeldet werden. 2014 waren nur 42,6 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen. Ein starkes Zeichen wachsender Demokratie, wie die grüne Fraktionschefin Ska Keller erklärte. Und eine der spannendsten Wahlen, die Europa je gesehen hat. "Harte" Endergebnisse waren vor Mitternacht wegen später Wahlschlüsse in Italien nicht zu erwarten.

Wie die 403 Millionen wahlberechtigten EU-Bürger ihre Gunst auf die einzelnen Parteien verteilten, konnte zunächst nur mit Exit-Polls und "Hochschätzungen" erklärt werden. Die großen Trends, die sich daraus abzeichneten, bestätigten sich im vorläufigen Endergebnis.

Zunächst einmal bewahrheitete sich eine Entwicklung, wie sie sich seit zwanzig Jahren bei Europawahlen niederschlug: Der Abschwung der beiden traditionellen Volksparteien von Christdemokraten (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) geht weiter. Die beiden größten Fraktionen im EU-Parlament haben wie erwartet ihre gemeinsame Mehrheit im Plenum verloren. Insbesondere in den großen Flächenländern, wo mehr als die Hälfte der EU-Mandate vergeben werden, wurden beide schwer geschlagen.

Starke Einbußen

Die EVP büßte gut 40 Mandate ein, detto die Sozialdemokraten, die bis zum Schluss darauf hofften, dass der Abstand zu den Christdemokraten kleiner werde. Besonders deftig fielen die Verluste in Italien, Frankreich und Deutschland aus. In kleineren und mittleren Staaten sah es zum Teil völlig anders aus. So schnitt die S&D in Spanien besonders gut ab, ebenso in Schweden.

Davon profitiert haben aber nicht, wie erwartet, die extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien, wie das in Prognosen vorausgesagt wurde. Nur die Lega von Matteo Salvini, die mit der FPÖ und der Partei von Marine Le Pen in Frankreich in der ENF-Fraktion ist, reüssierte – was im Ergebnis die Mandate der Gruppe hinaufschnellen lässt. Aber: Sie bleiben unter 60 Mandaten und sind damit etwa so groß wie die Konservativen und die EU-Skeptiker rund um den Rechtspopulisten Nigel Farage.

Die Liberalen (Alde), die vor allem von einem Bündnis mit der Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron profitieren, stiegen hingegen zur drittstärksten Fraktion auf – mit mehr als 100 Mandaten. Die Alde könnte zum "Königsmacher" bei der Wahl des Kommissonspräsidenten werden.

Überraschend stark zeigten sich die Grünen, in Deutschland mit dem Rekordergebnis von 22 Prozent, mit zwölf Prozent auch in Frankreich, aber auch in vielen kleinen Ländern wie in Irland oder in Finnland. Die Ökopartei hat das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt.

Was all diese Tendenzen in der Endabrechnung politisch wirklich bedeuten, das wird sich erst in den kommenden Wochen entscheiden. Denn anders als in den Nationalstaaten ist die Beweglichkeit der Parteien auf EU-Ebene größer. Ganze Länderdelegationen wechseln manchmal die Fraktion.

Kampf um Kommission

So ist unklar, was die Fidesz von Ungarns Premier Viktor Orbán mit ihren Mandaten macht: Verlässt sie die Europäische Volkspartei, um den "italienischen Weg" mit Salvini zu gehen, lägen die Christdemokraten in Straßburg nur noch knapp vor den Sozial demokraten. Das könnte bedeuten, dass das vom SP-Spitzenkandidaten Frans Timmermans im STANDARD-Interview angekündigte Streben einer links-grün-liberalen Koalition nach dem Posten des nächsten Kommissionspräsidenten starken Rückenwind bekommt. Macron würde Timmermans unterstützen. Und den Christdemokraten fehlt eine Alternative, da ihr Spitzenkandidat Manfred Weber es ausgeschlossen hat, sich mit den Rechten ins Boot zu setzen. Lange, zähe Verhandlungen sind programmiert. (Thomas Mayer aus Brüssel, 26.5.2019)