In Österreich wurden im Vorjahr 240.000 Tonnen Äpfel gewerblich geerntet. Ihre wilden Vorfahren wurden schon vor 10.000 Jahren gesammelt.

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Die Wildapfelbäume im Tien-Shan-Gebirge tragen große, häufig rote Früchte. Unsere heutigen Äpfel gehen genetisch zu einem erheblichen Teil auf diese Wildbestände zurück.

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Pferde beim Apfelschmaus im Tien Shan. Die Wildäpfel lockten einst viele große Säugetiere an.

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Blick auf das westliche Tien-Shan-Gebirge in Kasachstan.

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Einem physikalisch durchaus korrekten Sprichwort zufolge fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Wie es der wohl berühmteste Vertreter aus der Familie der Rosengewächse dennoch zur weltweiten Ausbreitung brachte und den Aufstieg zu einer der beliebtesten Obstarten schaffte, hat nun Robert Spengler vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena nachgezeichnet. Der Weg zur Erfolgsfrucht war keineswegs geradlinig – und unterscheidet sich von der Domestikationsgeschichte anderer wichtiger Kulturpflanzen.

Für seine Übersichtsarbeit im Fachblatt "Frontiers in Plant" Science kombinierte der Archäobotaniker neue Erkenntnisse aus paläontologischen und archäologischen Funden, genetischen Studien und historischen Aufzeichnungen. So ist etwa klar, dass Menschen in Eurasien vor mehr als 10.000 Jahren Wildäpfel sammelten und deren Bestände über Jahrtausende pflegten. Wie aber entstanden daraus die roten, fleischigen und süßen Äpfel, die zum festen Bestandteil unserer Kulturgeschichte wurden und heute als Standardobst schlechthin gelten?

Um diese Frage zu beantworten, untersuchte Spengler zunächst die evolutionären Prozesse, die der Kultivierung durch den Menschen vorausgingen. Anders als viele ihrer Verwandten wie Kirschen oder Rosen bildeten die Äpfel schon früh größere Früchte aus. Sie setzten nicht auf Vögel, um ihre Samen zu verbreiten, sondern lockten imposantere Gehilfen an: große Säugetiere.

Hirsche und Händler

Bis zum Ende der letzten Kaltzeit herrschte kein Mangel an hungrigen Riesen, die auf der Suche nach Nahrung durch Eurasien streiften. Doch nach und nach verschwanden immer mehr Vertreter der eiszeitlichen Megafauna, darunter auch ausgewiesene Apfelliebhaber wie der Riesenhirsch.

Das Massenaussterben schränkte die Samenausbreitung der großfruchtigen Wildäpfel stark ein, Spengler zufolge waren die verbliebenen Bestände der Wildapfelbäume nach dem Ende der Kaltzeit voneinander isoliert. Dann aber kam der Mensch ins Spiel. Genetische Studien legen nahe, dass der moderne Apfel ein Hybrid aus mindestens vier Wildapfelarten ist. Aus archäologischen Funden lässt sich wiederum schließen, dass sich die Vermischung dieser Arten auf den Handelsrouten der Seidenstraße abgespielt hat – wohl zufällig beim Transport der Früchte.

Schneller Ablauf?

Die Verbindung zur Seidenstraße trage der moderne Apfel auch im Genom, schreibt Spengler: "Ein Großteil seines genetischen Materials stammt aus dem Herzen der alten Handelsrouten im Tien-Shan-Gebirge Kasachstans."

Dass die Nachkommen der Apfelhybriden größere Früchte hatten, entging den Menschen nicht. Durch Veredelung verstärkten sie die Eigenschaften, die den heutigen Apfel ausmachen. "Unsere Äpfel entstanden nicht durch einen langen Prozess der Selektion und Verbreitung von Samen der beliebtesten Bäume, sondern durch Vermischung und Veredelung", schreibt Spengler.

Das könnte sehr schnell und zumindest teilweise unbeabsichtigt abgelaufen sein. Dieses Ergebnis zeige, dass es kein allgemeingültiges Erklärungsmodell für die Entwicklung von Kulturpflanzen gibt, so der Forscher. Im Fall der Äpfel sind wir wohl den Riesenhirschen und Händlern der Seidenstraße zu Dank verpflichtet. (David Rennert, 28.5.2019)