Rap als Mittel und Punk als Attitüde: Dem 24-jährigen Slowthai, mit bürgerlichem Namen Tyron Frampton, ist mit seinem Debüt "Nothing Great About Britain" vielleicht die Platte des Jahres gelungen

Foto: David Jackson

Wenn Slowthai aus dem Sarg springt, ist die Hölle los. In diesem doch recht untypischen Transportmittel lässt sich der 24-jährige Brite zuweilen auf die Bühne bringen. Die Masse tobt und grölt, wenn der gerade auferstandene Tyron Frampton – so der bürgerliche Name Slowthais – seine dringlichen Botschaften durch die Zahnlücken presst.

Ein zartes Bürschchen, übersät mit Tattoos, von denen eines "Sorry Mom" lautet. Ein zartes Bürschchen, dem mit seinem kürzlich erschienenen Debüt Nothing Great About Britain vielleicht die Platte des Jahres gelungen ist.

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Auf der Insel nichts Gutes

Frampton spricht darauf über Dinge, die er bestens kennt. Über das trostlose Aufwachsen in den East Midlands als eines von fünf Kindern einer viel zu jungen Alleinerzieherin. Über die Drogen, die Kriminalität, den Rassismus, über die diversen Krisen, die Großbritannien beuteln, und den bevorstehenden Brexit. Über eine vergessene Arbeiterklasse irgendwo im Nirgendwo ohne Hoffnung. Dazu schlüpft Slowthai in unterschiedliche Erzählerrollen, verknüpft das eigene Erleben mit anderen, realen und fiktiven (Lebens-)Geschichten.

Auf Northampton's Child erzählt er zum Beispiel die Vita seiner Mutter nach – die vielen Umzüge, die doppelten Schichten, der Tod seines Bruders, der kurz nach seinem ersten Geburtstag an Muskeldystrophie starb.

In Doorman diskutiert Slowthais Icherzähler auf einem punkinspirierten, hektischen Elektrobeat mit dem Türsteher, der einem wie ihm den Zutritt in den schicken Club verwehren will. Die reiche Angebetete ist schon vor Ort, aber es trennt die beiden eben nicht nur die gestrenge Tür. Immer wieder dreht sich Nothing Great About Britain um die Klassenfrage, um das Leben in verschiedenen Welten.

Milieustudien

"I will treat you with the utmost respect only if you respect me a little bit, Elizabeth", richtet er das Wort, indem er einen noblen Aristo-Akzent ironisch imitiert, auf dem Opener an die Queen. Ein gar nicht so nobles "you cunt" schickt er gleich nach.

Die da oben nehmen uns da unten gar nicht wahr, so die unmissverständliche Aussage. Doch liegt es gar nicht im Interesse Framptons, Gräben aufzuziehen. Eher will er mit seinem Album als Chronist die Realität jener nachzeichnen, die keine Lebensgrundlage (mehr) haben. Gleichzeitig will er diese Realität für jene nachvollziehbarer machen, die es besser erwischt haben. Er tut das mit Einfühlsamkeit, detailverliebten Beobachtungen und – wo es ob der inhaltlichen Tristesse möglich ist – mit viel Wortwitz.

Das Mittel für Framptons pointierte Milieustudien ist Rap, die Attitüde Punk in Reinform. Seine Einflüsse könnten unterschiedlicher nicht sein, britisch sind sie jedoch alle.

Da wäre die Faszination für Sid Vicious, den er auch namentlich auf Peace of Mind erwähnt. Überhaupt scheint sich die Aura der ganzen Sex Pistols in Framptons feixendem Grinsen zu spiegeln. Auch der kürzlich verstorbene Frontman von The Prodigy, Keith Flint, hat seine Spuren in Slowthais Habitus hinterlassen.

Punk trifft Grime

Wie man Geschichten erzählt, hat er sich wohl bei Mike Skinner, dem Kopf von The Streets, abgeschaut; wie man sie skandiert dagegen bei Dizzee Rascal, einem der Grime-Pioniere.

Slowthai nutzt das Anfang der 2000er in London entstandene Genre, das mit seinen alarmierenden, düsteren Sounds zum Transport gefährlicher Drohungen via Schnell-Rap bestens geeignet ist, als musikalische Basis für sein rohes wie relevantes Album, das erzähltechnisch den darauf beschriebenen Ungerechtigkeiten gerecht wird. Nothing Great About Britain? Zumindest dieses Album ist großartig. (Amira Ben Saoud, 3.6.2019)