Fröhlich und fatalistisch: Ernst Molden pflegt das Wienerlied.

Daniela Matejschek

Seit den Pestzeiten des lieben Augustin werden in Wien Lieder gesungen, wahrscheinlich sogar schon länger. Das begrifflich fixierte Wienerlied kennt man seit dem 19. Jahrhundert. In seinem bevorzugten Biotop, dem Heurigen, blühte und welkte und blühte und welkte es – zuletzt im Schatten des Austropop, den man in der Szene aber bitte nicht so nennen darf.

Nationalpark Donau-Auen

An die kapitalen Musikphänomene der letzten Jahrzehnte erinnert die Kabinettausstellung Neue Wiener Lieder – Poesie, Provokation, Pop im Innenhof des Hauses der Musik. Klaus Totzler hat sie kuratiert und das weite Feld auf wenigen Kubikmetern eingehegt. Es gibt drei Schaufenster mit vielen Plattenhüllen und einigem anderem sowie ein Kammerl mit Zitaten, Fotos, Zeitungsausschnitten und einer Hörstation. Die Sache ist mit einem Gehkaffee in zehn Minuten abgefrühstückt.

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In den Schaufenstern erheitern persönliche Spenden der Künstler: Das Kollegium Kalksburg hat einen Tschick beigesteuert, die Kollegen von 5/8erl in Ehr'n einen lustigen Spruch: "Wir sind 5/8 und haben aber nur 4 Amadeus Awards". Auf mangelnde Wertschätzung auf Auszeichnungsebene nimmt auch Wolfgang Ambros Bezug: "Meine 1. (und einzige) Goldene bekam ich überreicht 13 Jahre nach Erscheinen. Das ist ein Zeichen von unnachahmlicher Nachhaltigkeit!"

redelsteiner

Gestiegene Qualität

Totzler hat ein halbes Jahrhundert an neuen Wiener Liedern live miterlebt. Was hat sich in dieser Zeitspanne verändert? Die Lieder von Heller, Danzer, Ambros und Co hätten vor allem von den großartigen Texten gelebt, meint der Wiener. In den letzten Jahren sei die Musik vielfältiger geworden, mit einer größeren Breite an Bands sei auch die Qualität gestiegen. Und früher sei in der Musikszene mehr intrigiert worden.

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Es gibt auch viel Verbindendes: Tempomäßig geht man die Dinge nach wie vor gern mit einer gewissen Ruhe an (Der Nino aus Wien). Direktheit wird gering geschätzt. "The meaning of life is just to go through", weiß das weise Kollegium Kalksburg. Eine Gelassenheit dem Leben wie auch dem Sterben gegenüber zeichnet das Wienerlied seit jeher aus. In der Gemütslage eines fast fröhlichen Fatalismus fühlt sich der singende Wiener so wohl wie bei seinem Stammwirt'n – oder wie der Augustin in der Pestgrube. (Stefan Ender, 4.6.2019)