Die Stoßzähne von Narwalen haben für die Menschen im Norden seit jeher große Bedeutung. Unter anderem wurde der Krönungsstuhl des dänischen Königs Frederik III. 1640 aus Narwalzähnen angefertigt – das schlägt selbst den Eisernen Thron von Westeros.
Foto: Mads Peter Heide Jørgensen

Narwale (Monodon monoceros) sind eine im wörtlichen Sinne herausragende Erscheinung: Ihr charakteristischer Stoßzahn – ein auf bis zu fünf Meter verlängerter, schraubenförmig verdrehter Eckzahn des Oberkiefers – ist unter den heutigen Walen einzigartig. Ähnliches findet man nur bei der einen oder anderen ausgestorbenen Walart, doch auch deren Stoßzähne konnten mit denen des Narwals bei weitem nicht mithalten.

Forscher beeindruckt aber noch etwas ganz anders: Nämlich dass es dem Narwal erstaunlich gut geht. Im vergangenen Jahr konnte das in der Arktis beheimatete Tier auf der berühmt-berüchtigten Roten Liste des Artenschutzes als "nicht gefährdet" eingestuft werden – ein Seltenheit bei großen Säugetieren. Der Gesamtbestand wird auf etwa 170.000 Tiere geschätzt.

Das steht in starkem Kontrast zu DNA-Analysen, die dänische Forscher nun im Magazin "iScience" veröffentlicht haben. Das Team um Eline Lorenzen vom Dänischen Museum für Naturgeschichte berichtet, dass Narwale eine erstaunlich geringe genetische Vielfalt aufweisen – deutlich geringer als die einiger anderer arktischer Tierarten, die ebenfalls untersucht wurden, darunter auch der Beluga oder Weißwal, der nächste Verwandte des Narwals.

Profiteure der Eiszeit

Eine geringe genetische Vielfalt gilt als Risiko, weil sie eine Tierpopulation anfällig für Epidemien macht und die Chance verringert, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Den Narwalen geht es allerdings prächtig – und das, obwohl ihre genetische Armut laut den Forschern eine Million Jahre zurückreichen dürfte: ein Rätsel.

Als Ursachen für eine geringe genetische Vielfalt kommen Inzucht und ein sogenannter genetischer Flaschenhals infrage, also ein Ereignis, das die ursprüngliche Population stark verringert hat, bis sich aus dem kleinen Rest wieder eine größere Population entwickeln konnte. Deren Angehörige sind dann allerdings enger miteinander verwandt als ihre Vorgänger.

Schulen von Narwalen sind in der Arktis zum Glück kein seltener Anblick.
Foto: Carsten Egevang

Laut Lorenzen ist aber keiner der beiden Faktoren bei den Narwalen im Spiel, was das Rätsel vergrößert. Die Analysen deuten eher darauf hin, dass die Narwale stark von der letzten Kaltzeit profitiert haben. Die starke Abkühlung vor etwa 115.000 Jahren habe für die Tiere eine ideale Umgebung geschaffen und ihre Population anwachsen lassen – ein Effekt, von dem sie bis heute zehren würden, der allerdings durch die Erwärmung der Arktis zunichte gemacht werden könnte. (red, 20. 6. 2019)