Die nächste Bundesregierung hat genügend zu tun. Denn die Bevölkerung erwartet sich mehr als symbolische Maßnahmen gegen Migranten. Tausende junge Menschen demonstrieren jeden Freitag gegen die politische Trägheit im Kampf gegen den Klimawandel, die Republik ist verstaubt und viele Frauen wollen die strukturelle Benachteiligung nicht länger hinnehmen. DER STANDARD hat überfällige Forderungen aus verschiedenen Bereichen gesammelt – und legt sie hiermit der Koalition der Zukunft vor.

1. Echte Frauenpolitik

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Diese Forderung kann eigentlich niemand mehr hören, weil sie – seit die erste österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal sie gesetzlich verankern ließ – schon so oft wiederholt wurde.

Die Krux daran: Bis heute ist der Grundsatz nicht Realität. Angestellte Frauen verdienen laut Statistik Austria um 37 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das kann ein moderner Staat nicht länger hinnehmen. Was die Politik tun könnte: Einkommenstransparenz verordnen, damit Frauen wissen, was der Kollege im Nachbarbüro bekommt; höhere Mindestlöhne in Dienstleistungs- und Sozialberufen einführen; verpflichtende Quoten – deren Nichteinhaltung sanktioniert wird – in den Leitungsgremien größerer Unternehmen.

Darüber hinaus sollte endlich die staatliche Abgabe auf Frauenhygieneprodukte gesenkt werden. Derzeit werden Tampons höher besteuert als Kinokarten. Auch dringend notwendig: Abtreibung auf Krankenschein in allen öffentlichen Kliniken, Gratis-Verhütungsmittel und Männlichkeitsworkshops für Buben in Schulen, um Gewalt vorzubeugen und Machogehabe auszutreiben.

2. Kampf gegen die Klimakatastrophe

Tausende junge Menschen demonstrieren jeden Freitag gegen die politische Trägheit im Kampf gegen den Klimawandel.
Foto: APA

Der Planet wird immer heißer, der Klimawandel muss gestoppt werden – jetzt! Das fordern vor allem Junge, die noch besonders lange auf der Erde leben werden. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, genügen Wohlfühlmaßnahmen nicht: Effektiver Klimaschutz heißt Systemwechsel.

Die Wirtschaft kann nicht immer weiterwachsen, wenn sie dabei natürliche Ressourcen ausbeutet und Treibhausgase ausstößt. Was die Politik tun könnte? Zum Beispiel eine CO2-Steuer einführen, damit sich klimaschädliches Handeln nicht mehr lohnt. Wenn ein Kurzstreckenflug billiger ist als die Zugreise zum selben Ziel, stimmt etwas nicht. Elektromobilität löst das Problem nur zum Teil, denn Autofahren wird nie nachhaltig sein.

Blumige Bekundungen und Appelle an die individuelle Verantwortung können keine echte Klimapolitik ersetzen. Das bedeutet unpopuläre Maßnahmen: teureres Fleisch, den Bürger zum bewussten Konsum erziehen, kein Geld in Infrastruktur für Autos stecken. Die Zeche dürfen aber nicht jene zahlen, die ohnehin schon wenig haben (und auch weniger CO2 verbrauchen). Klimapolitik muss sozial gerecht sein, dann wird der Systemwechsel auch zur Chance.

Effektiver Klimaschutz heißt Systemwechsel.
Foto: Christian Fischer

3. Chancen für alle Kinder

Die nächste Regierung muss in die Kleinsten im Land investieren – sie sind schließlich unsere Zukunft. Ganz Österreich braucht Gratiskindergärten mit großzügigen Öffnungszeiten und Ganztagsschulen, um Familien mit berufstätigen Eltern zu entlasten. Innerhalb zweier verpflichtender Kindergartenjahre könnten Kinder mit anderer Muttersprache Deutsch lernen, um fit für die Schule zu sein – separate Deutschsonderklassen in Volksschulen würden damit obsolet.

Die Politik muss auch endlich an der sozialen Durchmischung an Schulen arbeiten. Bis heute sind österreichische Studienanfänger zu zwei Dritteln Akademikerkinder, die in der Regel zu Hause stärker gefördert werden konnten. Das ist nicht gerecht. Gratisnachhilfe für Schüler aus einkommensschwachen Haushalten wäre eine erste Symptombekämpfungsmaßnahme.

Außerdem müssen Kinder vor einst ausgerotteten Seuchen geschützt werden: Das könnte das künftige Kabinett mit einer Impfpflicht sicherstellen.

4. Zukunftsgerechte Pensionsreform

Arbeit ist nicht nur Lohnarbeit. Das sollte sich auch im Pensionsanspruch niederschlagen. Es ist nicht einzusehen, dass jene, die große Teile ihres Lebens unbezahlt gearbeitet haben (Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen), in der Altersarmut landen oder vom Partner abhängig sind. Eine Möglichkeit, um zu Hause bleibende Partner zu unterstützen, wäre ein verpflichtendes Pensionssplitting.

Außerdem ist die steigende Lebenserwartung ein Luxusproblem, das unser Pensionssystem belastet: Wir leben länger, das ist gut. Damit wir länger gesund sind – und auch länger arbeiten können –, müssen sich aber die Jobs so verändern, dass Arbeitnehmer mit 60 Jahren nicht kaputt sind.

Arbeit im Alter kann für alle Beteiligten wertvoll sein, dann muss sich die Arbeit aber auch dem Alter anpassen. Hier fehlt bisher die politische Innovationskraft. Gibt es gute Arbeitsplätze für Alte, könnte man auch endlich das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung der Menschen anpassen.

5. Faire Verteilung der Steuerlast

Steuern sollen steuern. Der Staat muss das Selbstbewusstsein haben, dieses Instrument stärker zu nutzen. Neben der CO2-Steuer (siehe Kampf gegen die Klimakatastrophe) muss auch von Erbschaften und Vermögen etwas für die Gemeinschaft abfallen. Das Gleiche gilt für kurzfristige Investments am Aktienmarkt.

Und wer das Geld für Luxusprodukte wie Sportwagen und extravagante Immobilien hat, kann darauf auch einen erhöhten Beitrag bezahlen. Das eingenommene Geld soll genutzt werden, um die soziale Kluft zu überbrücken. Wer Arbeitnehmer entlastet, trägt auch dazu bei, dass tatsächlich jeder die Chance hat, sich etwas Wohlstand zu erarbeiten.

6. Einen starken, schlanken Staat schaffen

Österreich wird hervorragend verwaltet. Der Staat bietet uns Dienstleistungen in einer Qualität, von der die Bürger anderer Länder nur träumen können. Wir fordern eine Verwaltungsreform, die den starken Staat stärkt und Potenzial für mehr Effizienz erkennt. Beim Föderalismus zum Beispiel. Österreich ist zu klein für neun Bundesländer, die neun verschiedene Gesetze für jedes Thema beschließen. Probieren wir eine Republik ohne Bundesländer!

Das Parlament braucht im Jahr 2019 auch keine Länderkammer, dafür sollte der Nationalrat aufgewertet werden. Das Kabinett von Bierleins Nachfolger sollte es ihr außerdem gleichtun und die politischen Kabinette der Ministerien verschlanken. Denn "sparen im System" schreien und das eigene Büro aufblähen – so geht moderner Staat sicher nicht.

7. Demokratiereform

Das Recht geht vom Volk aus – doch wer ist das eigentlich? Wichtig ist, dass die Regeln von denen bestimmt werden, die ihnen unterworfen sind. Wer hier lebt, soll hier wählen dürfen. Deshalb sollte die nächste Regierung das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft entkoppeln. Denn dass ein stetig wachsender Teil der Bevölkerung nicht wählen darf, ist ein demokratiepolitischer Missstand.

Bei dieser Gelegenheit könnte Österreich auch Doppelstaatsbürgerschaften erlauben. Und: Die Vierprozenthürde für die Nationalratswahl stoppt neue Initiativen. Wer genug Stimmen für ein Mandat bekommt, soll es erhalten.

8. Transparenzoffensive starten

Der Rechnungshof muss endlich die Bücher der Parteien kontrollieren dürfen, um illegalen Einfluss auf unsere Demokratie zu verhindern.
Foto: APA

Dass hier Nachholbedarf besteht, ist nicht erst seit dem Ibiza-Video offensichtlich. Für die Parteienfinanzierung gibt es Regeln, doch ob die eingehalten werden, kann niemand prüfen. Der Rechnungshof muss endlich die Bücher der Parteien kontrollieren dürfen, um illegalen Einfluss auf unsere Demokratie zu verhindern.

Eine Woche vor Nationalratswahlen sollten die Parteien ihre Wahlkampffinanzen offenlegen – damit sich beim nächsten Mal nicht wieder erst nach dem Urnengang herausstellt, dass manche die Kostenobergrenze gesprengt haben. Und wer gegen diese Regeln verstößt, soll streng bestraft werden.

Es ist nun auch endlich Zeit für den gläsernen Staat: Das Amtsgeheimnis muss weg, ein Informationsfreiheitsgesetz stattdessen her. Bürger sollen wissen, was in ihrem Staat passiert – und Korruption lohnt sich nicht mehr, wenn auch die dunklen Ecken ausgeleuchtet werden.

9. Weder streiten noch kuscheln

Wir hatten es satt, das ständige Streiten. SPÖ und ÖVP arbeiteten gegen Ende der gefühlt ewigen "großen Koalition" mehr gegen- als miteinander. Es war unerträglich. Dann folgte der krasse Bruch: Volkspartei und Freiheitliche befanden sich eineinhalb Jahre lang auf Kuschelkurs.

Wie wir heute wissen: So rosig wie ständig vorgetragen war es gar nicht. Die nächsten Regierungsmitglieder könnten sich einmal wie erwachsene Arbeitskollegen benehmen: die gemeinsame Sacharbeit in den Vordergrund stellen und dabei fair miteinander umgehen.

10. Schluss mit dem Postenschacher

Früher wurde das Land zwischen Rot und Schwarz aufgeteilt, zwischenzeitlich durften immer wieder die Blauen mitmischen – nicht nur die Neos fragen sich: Warum eigentlich? Wie wäre es, in einem Land zu leben, in dem Topjobs in der Verwaltung und in staatsnahen Betrieben nur nach Qualifikation und nicht nach Parteibuch vergeben würden?

Die allermeisten Österreicherinnen und Österreicher würden das bestimmt begrüßen. Also: Schluss mit Freunderlwirtschaft, Kabinett vier 2019! (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 8.6.2019)