Die Neos-Abgeordnete, ehemalige Höchstrichterin und Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss kandidiert nicht mehr für den Nationalrat. Sie sei 72 Jahre alt und wolle es nicht übertreiben, sagte sie sinngemäß. Schade, die Politik wird um eine unabhängige, integre Persönlichkeit ärmer, die es vor der Politik zu einer angesehenen und erfolgreichen Berufslaufbahn gebracht hat. Solche Erscheinungen in der Politik sind selten, zu selten.

Politik ist fast nur noch für Leute mit stark ausgeprägtem Machtbewusstsein attraktiv. Bemerkenswert, wie entschieden die Bildungsministerin der Expertenregierung, Iris Rauskala, im Interview mit Armin Wolf den Gedanken von sich wies, sie könne ja nach der Wahl weiter Ministerin bleiben oder in die Politik gehen. Dabei machte sie einen überlegten und profunden Eindruck, konnte sich blendend ausdrücken und sprach von sich aus eine noch ungewohnte gesellschaftspolitische Situation an, von der sie selbst betroffen ist (Ehe mit einer Frau).

Ihr Vorgänger, Universitätsprofessor Heinz Faßmann, gab übrigens nach dem erzwungenen Ende seiner Amtszeit eine Reihe von Interviews – kalkuliert im Arkadenhof der Universität Wien -, mit denen er offensichtlich signalisieren wollte, er habe sich in der Politik nicht verbiegen lassen und sei wieder voll im akademischen Betrieb.

Anstrengender Job

Politiker wie Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl haben praktisch nichts anderes gemacht als Politik. Das ist, bei aller denkbaren Kritik an den Genannten, keine Abwertung der Politik als Beruf. Das ist ein anstrengender Job mit relativ geringer Zufriedenheitsrate. Gute Politiker müssen einen Blick für Themen haben, halbwegs sattelfest sein, entscheiden und führen können. Dafür haben sie dann im ungünstigen Fall einen Leerlauf bei vollem Terminkalender, eine relativ gute, aber nicht großartige Bezahlung, kaum freie Zeit – und meist eine schlechte Nachrede.

Und doch – es scheint, als benötige man für die heutige Spitzenpolitik eine bestimmte psychische Grundausstattung, die bei Menschen, die es vorher in einem anderen Beruf zu etwas gebracht haben, nicht so oft vorhanden ist. Pamela Rendi-Wagner, Ärztin und hohe Beamtin im Gesundheitsministerium, muss sich das erst mühsam zulegen.

Noch einmal – Berufspolitiker sind nicht von vornherein negative Figuren. Aber es wäre mit Sicherheit besser für unsere Politik, könnte man mehr Leute mit Erfolgen in der Privatwirtschaft, der Wissenschaft, auch der Verwaltung bewegen, sich in den politischen Prozess einzubringen.

Interessanterweise war es Sebastian Kurz, der 2017 eine Reihe von Personen aus der "zivilen Welt" auf wählbare Listen setzen ließ – den Mathematiker Rudolf Taschner, den Unternehmer Martin Engelberg, die Sportlerin Kira Grünberg, die Opernballorganisatorin Maria Großbauer. Sie wurden gewählt, aber man hat seither so gut wie nichts mehr von ihnen gehört. Möglich, dass sie im Hintergrund gute Arbeit leisten, aber ausgesprochene Werbung für Nichtpolitiker in der Politik sind sie nicht.

Der Rechtsanwalt Alfred Noll, der für die Liste Pilz angetreten ist, erwies sich als initiativer und wirkungsvoller Abgeordneter (er selbst sagt, der Misstrauensantrag gegen den Kanzler Kurz sei seine Idee gewesen). Er wird wahrscheinlich mitsamt der ganzen Liste nicht mehr ins Parlament kommen.

An der Rekrutierung für die Politik ließe sich einiges verbessern. Aber wie? (Hans Rauscher, 21.6.2019)