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Wie kann man Pflege nachhaltig finanzieren? Das derzeitige System ist unübersichtlich: Bund, Länder und Gemeinden teilen sich die Zuständigkeiten, es speist sich aus Steuern. Geht es nach ÖVP-Chef Sebastian Kurz, soll das der Vergangenheit angehören. Im türkisen Pflegekonzept schlägt er den Umstieg auf ein beitragsfinanziertes System, also eine Pflegeversicherung, vor.

Pflege sei ein zusätzliches Lebensrisiko geworden, daher müsse sie als fünfte Säule im Sozialversicherungssystem etabliert werden. Da die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgehe, blieben in der Unfallversicherung Mittel übrig, die man für die Pflege einsetzen könne. Kurz erntete für sein Konzept Kritik von allen Parteien, aber auch von Industrie und Gewerkschaft.

Lob gab es hingegen für die Valorisierung des Pflegegelds. Hier will die ÖVP nun doch dem Antrag der Liste Jetzt auf eine jährliche Inflationsanpassung zustimmen. Sie soll ab 1. Jänner 2020 in Kraft treten. FPÖ, SPÖ und Neos haben bereits erklärt, den Beschluss mitzutragen.

Die Kosten werden vom Wirtschaftsforschungsinstitut auf rund 50 Millionen Euro jährlich geschätzt.

Für

Die Pflegekosten werden in den kommenden Jahren steigen, so viel steht fest. In den nächsten Jahren ist ein deutlicher Schub in der Langzeitpflege zu erwarten, bis 2050 soll die Zahl der Pflegegeldbezieher von 462.000 auf 750.000 Menschen steigen.

Derzeit ist das System steuerfinanziert: Ob ein Wechsel zu einem beitragsfinanzierten Modell – einer Pflegeversicherung – sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab.

Bei einer staatlichen Pflegeversicherung wird Pflege als Risiko wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit eingestuft, es ist ein solidarisches Versicherungssystem. Auch wenn es keinen aktiven Wunsch nach einem Wechsel des Systems gibt, ist laut Umfragen die Zustimmung zu einem beitragsfinanzierten System hoch, sagt Ulrike Schneider von der Wiener Wirtschaftsuniversität: "Das Prinzip Leistung und Gegenleistung schafft in der Bevölkerung Akzeptanz." Das sei vielen wichtig, obwohl die Leistung nur im schlimmsten Fall erfolgt, wenn es Bedarf dafür gibt, erläutert sie.

Der Vorteil eines beitragsfinanzierten Systems ist die Zweckwidmung, sagt Monika Riedel vom Institut für Höhere Studien: "Das Geld steht definitiv für die Pflege zur Verfügung, die öffentliche Hand hat ein fixes Budget", doch die Flexibilität eines steuerfinanzierten Systems gehe verloren.

Viele hätten Angst, sich im Alter die Pflege nicht leisten zu können, meint Alexander Biach, scheidender Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. "Eine Pflegeversicherung sichert bei sozialen Risiken ab", sagt Biach. Er rechnet auch mit einer österreichweiten Vereinheitlichung des Angebots durch eine Bündelung bei einer Versicherung. Denn derzeit seien etwa die Zugangsvoraussetzungen für Pflegeheime oder die Ausgestaltung der Leistungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Wird Pflege Versicherungssache, erwartet sich Biach ein Umdenken: "Versicherungen handeln aus Eigeninteresse, damit der Versicherungsfall nicht eintritt", ist er überzeugt. So könne endlich der Fokus verstärkt auf Prävention gelegt werden.

Wider

In Deutschland gibt es bereits seit 1995 eine Pflegeversicherung. Um diese finanzieren zu können, wurde zunächst ein Feiertag gestrichen, um die Arbeitgeber zu entlasten, die Beiträge für Arbeitnehmer wurden auf ein Prozent festgelegt. Zwar gibt es nun einen fixen Posten im deutschen Staatshaushalt, doch es wurde bald mehr Geld benötigt als ursprünglich angenommen. Die Beiträge wurden mehrfach angehoben, derzeit fließen drei Prozent des Lohns in die Pflegeversicherung. Das System ist stark von der Konjunktur abhängig. Sozialversicherungen geraten unter Druck, wenn die Beschäftigungslage schwach ist.

Ökonomin Schneider weist auf die Folgen des deutschen Modells hin: "2004 mussten Rentner den vollen Beitrag zahlen, den die Rentenversicherungen nicht mehr übernommen haben." Ein steuerfinanziertes Modell speise sich aus mehreren Quellen und sei dadurch robuster, ein beitragsfinanziertes System habe eine schmälere Finanzierungsbasis. Die Finanzierungsfrage wurde in Deutschland damit nicht restlos gelöst. Pflegefonds wurden als zusätzliche Ansparelemente geschaffen, um die Kosten zu decken.

Dass die Finanzierung mit einer Pflegeversicherung besser oder günstiger ist, glaubt Schneider nicht: Es müsste eine neue Administration dafür etabliert werden, und zusätzliche Kapazitäten in der Unfallversicherung (AUVA), in der das ÖVP-Konzept die Versicherung ansiedeln will, müssten geschaffen werden. Dass Pflege dadurch aufgewertet werde und eine eigene Säule darstelle, wie es ÖVP-Chef Sebastian Kurz vorschwebt, stellt auch die IHS-Expertin Riedel infrage. "Das ist überzogen, es ist nur ein Finanzierungsbeitrag."

Dass die AUVA der richtige Träger ist, daran hat Biach Zweifel. Die AUVA habe sicherlich hohe Kompetenzen in Unfallversorgung und Rehabilitation. Bei Pflege liege aber das Know-how bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) oder auch bei der Österreichischen Gesundheitskasse, die aus den neun Gebietskrankenkassen entsteht. Denn in der PVA werden derzeit zwei Drittel aller Pflegegeldanträge bearbeitet.

(Marie-Theres Egyed, 26.6.2019)