Gerhard Haderer hält die Einstellung von Karikaturen für gefährlich.

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"Was darf Satire? Alles!", hat einmal der Journalist und Satiriker Kurt Tucholsky gesagt. "Das war natürlich immer schon so ein Mythos. Wir Karikaturisten wissen, dass es Grenzen gibt, aber wir wollen die Freiheit haben, diese Grenzen für uns selber zu definieren", sagt der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer.

Dass die Grenzen dennoch immer öfter von anderen abgesteckt werden, zeigt aktuell die New York Times. Ab 1. Juli soll es in der internationalen Ausgabe keine politischen Karikaturen mehr geben.

Ab 1. Juli gibt es keine politischen Karikaturen mehr in der "New York Times".

Netanjahu als Blindenhund

Anlass für die Einstellung war eine Zeichnung des portugiesischen Karikaturisten António Moreira Antunes im April in der New York Times. Sie zeigt den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu als Blindenhund mit Davidstern und Halsband, an der Leine von Donald Trump, der eine Kippa trägt. International wurde dem Zeichner Antisemitismus vorgeworfen. Sogar der amerikanische Vizepräsident Mike Pence hat sich zu Wort gemeldet und die Zeichnung kritisiert.

Die New York Times hat sich in mehreren Stellungnahmen für die Veröffentlichung entschuldigt und auf Twitter erklärt, dass "es ein Fehler war, die Zeichnung zu veröffentlichen". Die Redaktion entschied, in Zukunft keine Cartoons mehr von redaktionsfremden Zeichnern zuzukaufen. Jetzt werden auch die beiden Karikaturisten der New York Times, Patrick Chapatte und Heng Kim Song, entlassen.

Die New York Times ist nicht die einzige Redaktion, die Karikaturisten entlässt. Im Mai 2018 hat die Süddeutsche Zeitung ihren langjährigen Zeichner Dieter Hanitzsch gekündigt. Auch er hatte eine Karikatur des israelischen Premiers angefertigt.

"Solche Ereignisse machen es für alle beteiligten Kollegen nicht besser", sagt Gerhard Haderer im Gespräch mit dem STANDARD.

Der Karikaturist der "New York Times", Patrick Chapatte, bedauert die Einstellung.

"Böses Foul"

Als Zeichner müsse man in einer relativ souveränen Position sein, um die Ereignisse zu beurteilen. Dafür brauche es auch den Rückhalt der Redaktionen. "Was die New York Times da gemacht hat, ist natürlich ein böses Foul, deswegen kriegen sie von mir nichts anderes als die rote Karte", sagt Haderer.

In Österreich sind es derzeit weniger die Karikaturisten als der deutsche Satiriker Jan Böhmermann, von dem sich Medien öffentlich distanzieren. Hierzulande hätten die Zeichner eher das Problem, dass "die agierenden Persönlichkeiten eh schon Live-Karikaturen sind", sagt Haderer: "Das Ibiza-Video beispielsweise wäre nichts für Karikaturisten, weil das kannst du nicht mehr toppen."

Das Wort "Karikatur" kommt vom italienischen "caricare" und heißt "Überladung". Ihre Aufgabe ist es, Menschen und gesellschaftliche Zustände überzeichnet darzustellen. Die Zeichner bewegen sich stets an der Grenze zwischen Provokation und Unsagbarem. "Das Spiel, an diese Grenzen heranzutreten, ist eine wirkliche Florettübung, das ist ja das Schöne daran", sagt Haderer. Wegen einer Übertretung Karikaturen einzustellen hält er für gefährlich. Für seinen Karikaturenband Das Leben des Jesus wurde Haderer 2002 heftig von der katholischen Kirche kritisiert. Die Sache ging so weit, dass der Linzer Zeichner in Griechenland wegen Blasphemie angeklagt wurde und in Abwesenheit in erster Instanz zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde. In zweiter Instanz wurde das Urteil aufgehoben.

Ist das Thema Religion zu heikel für Karikaturen? "Man kann die Grenzen von religiösen Empfindlichkeiten nie vorweg einschätzen", sagt Haderer. Über andere Religionen als seine eigene zeichnet er nicht. Ein Tabu? "Ein Tabu nicht, aber ich bin Agnostiker. Über fremde Religionen zeichne ich nicht, weil mir die Information fehlt und weil ich auch keine Lust hab, mich damit zu beschäftigen." (Johannes Pucher, 27.6.2019)