Das kommt nicht oft vor, dass sich eine Horde freigelassener Autojournalisten nicht wie wild auf die neuen Wagln stürzt. Citroën hat alles angekarrt, was gerade bei den Händlern glänzt, vom Berlingo bis zum C5 Aircross, vom Cactus bis zum Traction Avant. Hoppla, genau, der ist jetzt gar nicht so neu. Aber er ist der Hauptgrund, warum die Mannschaft, in der man sich sonst die Autoschlüssel gegenseitig aus der Hand reißt, bis das Buffet eröffnet wird, diesmal die neuen Autos nur zur Not fährt. In der edelsten Wohngegend, wenige Kilometer außerhalb von Paris, hat Citroën seine schönsten Autos der jüngeren Geschichte zum Probehutschen bereitgestellt.

Der Traction Avant, ausnahmsweise nur von innen belagert.
Foto: Guido Gluschitsch

Beim Traction Avant, dem Gangsterauto der 1960er-Jahre schlechthin, da war das Fahrwerk schon von einem Charme, dass man über liegende Polizisten – in dem Fall waren es vermutlich nicht immer nur die aus Beton und Plastik, die wir heute kennen und hassen – drüberfahren konnte, ohne vom Gas gehen zu müssen. Später dann, beim CX etwa, hob sich beim Retourfahren überhaupt erst einmal der Hintern, bevor die Hinterräder sich auch nur zu drehen wagten. Sänften sind diese Autos. Immer schon gewesen. Edle Hutschen, während andere nur Kutschen bauten. Den Traction Avant, nur um ein Beispiel zu nennen, den gab es nicht nur in Schwarz. Den konnte man auch in einem ganz dunklen Blau ordern. Davon dürften aber entweder nur wenige verkauft oder zumindest erhalten geblieben sein. Schwarz-Weiß-Fotos und Filme sind da ein schlechter Ratgeber, um als Recherchehilfe zu dienen.

Die Schaltung im Traction Avant.
Foto: Guido Gluschitsch

Jedenfalls stehen hier, knapp außerhalb von Paris, zwei schwarze Traction Avant. Und um sie herum Trauben von Journalisten. Gleich daneben steht ein SM – Sie erinnern sich an den edlen, langen Citroën mit dem vorderen Nummernschild hinter Glas und dahinter dem Sechszylinder von Maserati?

Der Citroën mit dem Maserati-Motor.
Foto: Guido Gluschitsch

Die thermischen Probleme, die dem Wagen in seiner Jugend schon zu schaffen gemacht haben, hat er sich bis heute herübergerettet. Die meiste Zeit steht er mit offener Motorhaube da und freut sich über jeden Luftzug, der durch den Motorraum streicht.

Nur eine Wagentürbreite weiter steht ein CX Prestige Série 2 von 1985. Bruno hat den Wagen 2001 gekauft, pflegt ihn und hegt ihn. Inzwischen hat der Wagen, mit dem sich vor allem Staatsoberhäupter und Großindustrielle herumhutschen ließen, mehr als 200.000 Kilometer abgespult.

CX und SM beim Luftholen.
Foto: Guido Gluschitsch

Vollkommen unscheinbar steht daneben ein Ami 6. Keiner der Kollegen würdigt das schönste Auto dieser Veranstaltung auch nur eines Blickes. Es war auch das Lieblingsauto von Designer Bertoni – von dem auch die DS und der Traction Avant stammen -, sollte am Abend der Peter Ruch, Kollege aus der Schweiz, erzählen. Mit seiner markanten Front und seinem quasi verkehrt gekippten Heckfenster hat er schon vor Jahren mein Herz erobert. Neben dem Wagen steht Louise, eine junge Dame, die mich auch glatt fragt, ob sie mich eine Runde durch den Vorort chauffieren darf.

Louise vor dem Ami 6 ihres Vaters. Der Wagen war einer der größten Erfolge in der Automobilgeschichte von Citroën.
Foto: Guido Gluschitsch

Louise spricht fließend Englisch, weil ihre Mutter aus London kommt. Ihr Vater interessiert sich mehr für Autos als Sprachen, und so ist der Ami 6 einer der Wagen aus seiner stattlichen Sammlung. Gerne schickte er seine Tochter vor, den Wagen zu präsentieren.

Louise bedient die Pistolenschaltung des Ami 6 von 1965, als würde es Karmapunkte für jeden sanften Gangwechsel geben. Nebenbei erzählt sie von ihrem Studium, von der Geschichte der Häuser, an denen wir vorbeifahren, und natürlich vom Citroën-Faible des Herrn Papa.

Nicht alle Oldies waren Perlen.
Foto: Guido Gluschitsch

Es ist ihre charmante Art, den 100er zu feiern. Zur gleichen Zeit bereitet Citroën im Zentrum von Paris seine schönsten Autos vor, um ihn mit der ganzen Stadt zu zelebrieren. Mitten darunter ein Ami 6. Genau wie der von Louise. (Guido Gluschitsch, 10.7.2019)