Die Salzburger Autorin Birgit Birnbacher (Mitte), flankiert von Ines Birkhan und Yannic Han Biao Federer, gewinnt den Bachmannpreis 2019.

Foto: APA/GERT EGGENBERGER

Prekäres Leben in der Festspielstadt Salzburg: Davon erzählt "Der Schrank" von Birgit Birnbacher, die heuer den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis gewann. Sie wurde von Juror und STANDARD-Redakteur Stefan Gmünder eingeladen. Ebenso zu Recht ging der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro) an den Oberösterreicher Leander Fischer, der am Samstag "Nymphenverzeichnis Muster Nummer eins Goldkopf" las, die sprachlich, rhythmisch und inhaltlich virtuos komponierte Geschichte eines Musiklehrers mit Obsession fürs Fliegenfischen.

Der Kelag-Preis (10.000 Euro) ging an die Kärntnerin Julia Jost mit "Unweit vom Schakaltal", der im besten Sinne eigenwillig erzählten Geschichte über faschistoide Strukturen, die lange nach dem Krieg noch bis ins Kleinste hineinreichen – wichtiger könnte ein Text im Österreich des Jahres 2019 kaum sein.

Publikumspreis an Ronya Othmann

Beim vierten von der Jury vergebenen Preis, dem 3sat-Preis (7.500 Euro), kam es, wie bereits bei allen vorherigen, zur Stichwahl mit Yannic Han Biao Federer – diesmal gegen Daniel Heitzler. Federer trug den Sieg davon. Eine bizarre Situation, konnten doch weder seine etwas bemüht auf postmodern machende Trennungsgeschichte "Kenn ich nicht" noch Heitzlers sprachlich manierierter "Der Fluch" wirklich überzeugen – auch die Jury nicht, wenn man ihre Diskussionen rekapituliert. Den Publikumspreis (7.000 Euro) erhielt, mehr als verdient, Ronya Othmann mit "Vierundsiebzig".

Die Jury, bestehend aus Hubert Winkels, Stefan Gmünder, Nora Gomringer, Klaus Kastberger, Hildegard E. Keller, Michael Wiederstein und Insa Wilke, machte heuer keinen guten Eindruck. Das fing schon mit den mehrfach auftretenden Textunsicherheiten einzelner Jurorinnen und Juroren an. Beim Siegertext etwa, der auf der Diskrepanz zwischen der ärmlichen Mietskaserne und dem Glanz der (Salzburger!) Festspiele basiert, sprach eine Jurorin von einem Wiener Mietshaus.

Konfuse Jury-Diskussionen

Nicht wirklich deutlich wurde auch, nach welchen Kategorien die Jury urteilt, ja ob sie überhaupt welche hat. Meist ging alles durcheinander, Inhalt, Form, viel zu selten die Sprache (die bisweilen eher Schulaufsatzniveau hatte), dafür viel Geschmäcklerisches und sehr freie Interpretation. Eine Moderation durch Moderator Christian Ankowitsch fehlte schmerzhaft.

Wie weit sich die Jury oft von den Texten entfernte, zeigte sich am dritten Tag, als Ines Birkhan aus "abspenstig" las, der surrealen Schilderung des Lebens, das eine Sängerin unter Wasser führt. Die Wiener Autorin wurde in die Diskussion miteinbezogen, behauptete sich souverän und sachlich – und bescheinigte der Jury, mit ihren Interpretationen "relativ daneben" zu liegen. Man sollte vielleicht wieder öfter die Autorinnen fragen.

Verstiegene Meinungen

Ebenfalls am Samstag las der Wiener Lukas Meschik "Mein Vater ist ein Baum", einen literarischen Text über den Tod des Vaters. Wie bereits bei Othmanns Text zum realen Genozid an den Jesiden zeigte die Jury Beißhemmungen, schien nicht wirklich in der Lage, zwischen Autobiografischem und Literatur zu trennen.

Bezeichnend schließlich die Diskussion des letzten Textes, Martin Beyers "Und ich war da", der aus Sicht eines jungen Gehilfen von der Hinrichtung der Mitglieder der Weißen Rose erzählt. Schon zuvor hatte sich gezeigt, wie stark die Jury auf NS-Themen reagiert, diesmal verstiegen sich Kastberger und Winkels zu dem Urteil, ein solcher Text sei moralisch verwerflich (da er die Schicksale der Widerstandskämpfer ausschlachte) und dürfe "so" nicht geschrieben werden.

Es braucht eine neue Ausrichtung

Man kann, man muss über einen solchen Text (der sichtlich bemüht war, redlich mit seinem Gegenstand umzugehen) streiten – aber nicht so. Das alles zeigt deutlich, wie dringend der Bachmannpreis eine neue Ausrichtung braucht. Juroren, die meinen, entscheiden zu können, was und wie "man" schreiben darf (immerhin gab es Jurykollegen, die sich dem deutlich widersetzten), urteilen in einem Bewerb, der mehr und mehr zum Almauftrieb des Literaturbetriebs wird. Der zunehmend zu einer PR-Maschine verkommt, in die Verlage ihren Nachwuchs werfen, während arrivierte Autoren das Schauspiel (verständlicherweise) meiden.

Und der, zu guter Letzt, kaum noch in der Lage scheint, haltbare literarische Werturteile zu geben. Das wird der zeitgenössischen Literatur nicht gerecht – und auch den Autorinnen und Autoren nicht, bei denen, wenigstens das, einige Entdeckungen dabei waren. (Andrea Heinz, 30.6.2019)